Verfassungsgericht prüft Berliner Sonntags-Einkauf "Es sollte sich niemand täuschen: Wir werden keine Ruhe geben!"
Berlin/Karlsruhe. "Hej Lukas, wäre es nicht herrlich, am ersten Adventssonntag auf Erkundungstour zu gehen?", lässt das Möbelhaus Ikea in Berlin per Mail anfragen und tut damit das, was in der Bundeshauptstadt seit drei Jahren zumindest für die großen Kaufhäuser eine Selbstverständlichkeit geworden ist: Es öffnet seine Türen an den Adventssonntagen
Berlin/Karlsruhe. "Hej Lukas, wäre es nicht herrlich, am ersten Adventssonntag auf Erkundungstour zu gehen?", lässt das Möbelhaus Ikea in Berlin per Mail anfragen und tut damit das, was in der Bundeshauptstadt seit drei Jahren zumindest für die großen Kaufhäuser eine Selbstverständlichkeit geworden ist: Es öffnet seine Türen an den Adventssonntagen. Heute will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber entscheiden, ob das auch in Zukunft so bleibt.
Geklagt haben die beiden großen Kirchen. Sie werfen dem rot-roten Senat in Berlin eine Aushöhlung des Sonntagsschutzes vor. Mit ihrem Ladenöffnungsgesetz hat die Hauptstadt bundesweit die weitestgehende Länderregelung. Liberaler geht es dank sogenannter Bäderregelungen nur in Tourismusregionen wie in Mecklenburg-Vorpommern zu. Die Hauptstadt-Geschäfte dürfen wochentags rund um die Uhr sowie an bis zu zehn Sonn- und Feiertagen pro Jahr zwischen 13 und 20 Uhr geöffnet sein. Darunter fallen auch die Adventssonntage. Möglich wurde dies durch die Föderalismusreform, mit der die Gesetzgebungskompetenz an die Länder wechselte.
Für den Einzelhandel in Berlin habe sich die seit November 2006 geltende Liberalisierung der Schließzeiten bewährt, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen. Dadurch sollen rund 1600 Stellen geschaffen worden sein, ein Großteil davon sozialversicherungspflichtig. Bundesweit sind die Beschäftigtenzahlen laut Dienstleistungsgewerkschaft verdi im Einzelhandel dagegen rückläufig.
Mindestens 700 der neuen Jobs in Berlin sind der Sonntagsöffnung zu verdanken, ist sich Busch-Petersen sicher. Der gewachsene Umsatz sei insbesondere den Touristen zu verdanken, die aus ihrer Heimat gewohnt sind, an Feiertagen offene Läden vorzufinden.
Auf die Kritik der Gewerkschaften, die erweiterten Ladenöffnungszeiten gingen zu Lasten der Beschäftigten und ihrer Familien, entgegnet der Handelsvertreter: Der Krankenstand habe sich nicht erhöht, mehr als die Hälfte der Beschäftigten habe an maximal zwei Sonntagen arbeiten müssen und ein Drittel an maximal fünf Sonntagen. Damit sei die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Religionsausübung gesichert, so Busch-Petersen, der sich selbst als regelmäßigen Kirchgänger bezeichnet. Für ihn sei der Berliner Weg "ein vernünftiger Kompromiss".
Für die Gewerkschaft, die die Klage der Kirchen unterstützt, zielen die Argumente des Einzelhandels ins Leere. "Längere Öffnungszeiten helfen dem Handel nicht", sagt Ulrich Dalibor von der Verdi-Bundeszentrale in Berlin. Der Einzelhandelsexperte verweist auf nahezu gleichbleibende Umsätze in den vergangenen 20 Jahren, wachsende, und damit teurere Verkaufsflächen bei den Discountern, stagnierende Unternehmensgewinne seit 2006 und zu niedrige Preise im Nahrungsmittelbereich. Die Ausweitung der Öffnungszeiten sei deshalb kein zusätzliches Serviceangebot für Kunden, sondern diene allein dazu, "die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen".
Besonders betroffen davon seien Frauen, die fast drei Viertel der Einzelhandels-Beschäftigten stellen, sagt Dalibor. Durch die meist auch auf ihren Schultern liegende Hausarbeit vor und nach Dienstschluss seien sie doppelt belastet. Verdi unterstützt zwei in Karlsruhe liegende Klagen gegen das niedersächsische Ladenschlussgesetz, die unter anderem den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit und den Schutz von Ehe und Familie verletzt sehen.
Ob diese Klagen überhaupt zur Verhandlung kommen, wird sich heute herausstellen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zum Berliner Ladenöffnungsgesetz bekannt geben wird. Als aufmerksame Zuhörer haben sich neben der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständigen Berliner Senatorin Katrin Lompscher (Linke) auch Markus Dröge und Georg Sterzinsky, die beiden Berliner Bischöfe, angemeldet. Auf das aktuelle Weihnachtsgeschäft in Berlin und den Sonntagseinkauf wird die Karlsruher Entscheidung höchstwahrscheinlich keine Auswirkungen haben.Herr Hofmann, warum kämpfen die Kirchen so vehement gegen längere Öffnungszeiten?
Hofmann: Hauptgrund ist das (nach biblischer Zählung) vierte Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen. Der Sonntag soll ein Tag sein, an dem man nicht arbeitet, sondern ruht und über sein Leben nachdenkt. Außerdem ist der Sonntag wichtig für die Familie und Kontakte mit Kranken, Nachbarn oder Freunden, für Tätigkeiten, die wichtig sind für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Was befürchten Sie, wenn die Sonntagsruhe aufgeweicht wird?
Hofmann: Dass das Verhältnis zwischen Erholung und Arbeit - dieser Rhythmus um des Menschen Willen - verloren geht, dass gemeinsame feste Zeiten fehlen. Schon jetzt sitzen viele Familien doch nur noch selten gemeinsam an einem Tisch. Dass alle Lebensbereich durchökonomisiert werden, sehen die Kirchen sehr kritisch, weil der Mensch mehr ist als ein Konsument. Zudem ist nicht einzusehen, dass noch mehr Menschen sonntags arbeiten müssen, um anderen ein Einkaufserlebnis zu verschaffen, da ohnehin nicht mehr Geld ausgegeben wird. Wir verstehen nicht, dass man den Sonntag als Kulturgut, für das einst schwer gekämpft wurde, ohne Not aufgibt.
Vielfach wird kritisiert, dass Ihre Forderungen nicht mehr zeitgemäß sind.
Hofmann: Die Kirchen haben längst akzeptiert, dass Menschen sonntags für andere Menschen arbeiten, da sind schon viele Bastionen geschleift worden. Man muss sich eine Sache klarmachen: Wir kommen auf eine schiefe Ebene, auf der es kein Halten mehr gibt. Wenn man anfängt, bestimmte Dinge abzuschaffen, wird man sie nicht mehr zurückholen können.
FDP-Wirtschaftsminister Hartmann hat betont, sich für längere Ladenöffnungszeiten einzusetzen. Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Hofmann: Nein, bislang haben wir immer gute Erfahrungen mit Peter Müller als Regierungschef gemacht, er hat sich stets an Zusagen gehalten. Dass die FDP für eine Liberalisierung eintritt, überrascht ja nicht. CDU und Grüne haben unmittelbar vor der Landtagswahl aber deutlich gemacht, dass sie an der Sonntagsruhe nicht rütteln wollen. Von der CDU hieß es, dies sei nicht verhandelbar, auch in einer Koalition mit der FDP. Wir werden genau hinschauen. Es sollte sich niemand täuschen: Wir werden keine Ruhe geben!
Hintergrund
Im Koalitionsvertrag der Landesregierung heißt es: "Wir werden uns des ( ) Themas Ladenöffnungszeiten annehmen und einen Prüfauftrag zur probeweisen ( ) Einführung eines langen Donnerstages (Öffnungszeiten bis 22 Uhr) unter besonderer Berücksichtigung eines ,City Privilegs' erstellen." Danach soll entschieden werden, wie weit das Ladenöffnungsgesetz geändert wird. Hofmann ist Vertreter der Kirchen bei der "Allianz für den freien Sonntag im Saarland", die Widerstand gegen die Pläne angekündigt hat. red