Varoufakis fliegt mit Gegenwind nach Hause

Brüssel/Athen · Die Euro-Gruppe und die griechische Regierung um Finanzminister Gianis Varoufakis haben sich auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms bis Ende Juni geeinigt. Doch selbst im Syriza-Lager regt sich Widerstand.

Der Flieger hat nach dem Start auf dem Brüsseler Airport noch nicht seine normale Flughöhe erreicht, da packt der berühmte Passagier einen Schreibblock aus, DIN A 5, ohne Spirale, dafür mit extra stabilem Deckel. Farbe: Lila. Gianis Varoufakis, 53, schillernder Starökonom, seit knapp vier Wochen griechischer Finanzminister , schreibt mit dem Kugelschreiber auf Griechisch eine Liste mit Stichwörtern auf, alles sauber durchnummeriert. Punkt 1, Punkt 2, Punkt 3. Nach Punkt 9 hebt er den Kopf. Ein Passagier spricht ihn lächelnd an, er will ein Selfie mit dem Griechen. Varoufakis macht mit. Ob Griechen oder andere: Varoufakis ist volksnah, wie immer, wie überall, auch über den Wolken. Flug Brüssel nach Athen , mit Aegean Airlines, Flugnummer A 3 621. Varoufakis sitzt auf Platz 16 C, Economy Class, auch das wie immer - und stets am Gang. "Herr Minister , haben Sie gut geschlafen?" Varoufakis grinst. "Ja, danke. Endlich habe ich mal ausgeschlafen. Ich könnte aber noch mehr Schlaf gebrauchen."

Doch er weiß: Die Zeit drängt. Schon heute muss Athens neue Regierung aus dem "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) und den "Unabhängigen Griechen" (Anel) unter Premier Alexis Tsipras der öffentlichen Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF, die fortan nur "Institutionen" heissen sollen, eine Reformliste vorlegen. So sieht es die denkwürdige Übereinkunft von Brüssel vor. Am Freitagabend hatten sich die Euro-Gruppe und die griechische Regierung geeinigt. Den Griechen wird die beantragte Verlängerung des Ende dieses Monats auslaufenden Hilfsprogramms gewährt. Dauer: vier Monate, bis Ende Juni. Das Credo der Gläubiger lautet: "Liebe Griechen, ihr bekommt Zeit und frische Liquidität. Dafür habt ihr den Reformprozess fortzusetzen."

Bereits gestern sendete Varoufakis deshalb eine "vorläufige Reformliste" an die Institutionen, wie aus Athener Regierungskreisen verlautete. Sie soll drei Seiten lang sein und vor allem Reformen in der öffentlichen Verwaltung und Steuerverwaltung des ewigen Euro-Sorgenlandes umfassen. Varoufakis sprühte jedenfalls vor Zuversicht. "Wir werden die Liste pünktlich vorlegen. Es wird bei keinem Reformvorschlag ein 'Nein' unserer Kreditgeber geben", ist er sich sicher.

In Athen schwankten die Reaktionen nach dem wochenlangen Verhandlungsthriller zwischen einer Siegerstimmung gepaart mit Durchhalteparolen (Tsipras in einer Fernsehansprache am Samstag: "Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg") sowie Häme und Spott, mit der die Ex-Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok Tsipras und Co. überzogen. Ihr harscher Vorwurf: Von Syrizas vollmundigen Wahlversprechen, die "Memorandum"-Ära in Hellas prompt nur noch eine böse Erinnerung werden zu lassen, sei nichts mehr übrig geblieben - und dies im Eiltempo. Der ND-Abgeordnete und Ex-Minister Adonis Georgiadis spottete via Twitter : "Die einzige rote Linie, die überlebt hat, ist die um den Kragen von Varoufakis' Jackett."

Auch im Regierungslager regt sich unterdessen massiver Widerstand. Bei einer nichtöffentlichen Sitzung des Syriza-Parteibüros sollen dem Vernehmen nach die Fetzen geflogen sein. Demnach habe die Übereinkunft in Brüssel vor allem Mitglieder des radikalsten Parteiflügels "Aristera Platforma" ("Linke Plattform") auf die Palme gebracht. Sie kontrolliert mindestens 25 der 149 Syriza-Abgeordneten im Athener Parlament. Die Nachricht davon machte blitzschnell die Runde, so dass sich die Syriza-Spitze dazu gezwungen sah, ihr Parteiorgan aufzufordern, flugs ein Dementi des Streits zu verbreiten. Der Führer der "Aristeri Paltforma", Energie-Minister Panagiotis Lafazanis, beteuerte dennoch unbeirrt weiter, "unser radikales Regierungsprogramm muss vollumfänglich umgesetzt werden".

Überdies übten gestern drei hochrangige Syriza-Politiker, die allesamt als weitaus gemässigter gelten, scharfe Kritik an der Übereinkunft von Brüssel . Der Vize-Minister für Verwaltungsreform, Georgios Katrougalos, drohte: "Ich werde die Regierung verlassen, falls nicht die roten Linien eingehalten werden." Der Syriza-Abgeordnete Alexis Mitropoulos, Vizepräsident des Athener Parlaments, lobte zwar Tsipras als "stolzen" und Varoufakis als "klugen" Kämpfer in höchsten Tönen. Beide seien aber auf den "Hass", "Revanchismus" und "die Bereitschaft zur Bestrafung" auf Seiten der Gläubiger Griechenlands gestoßen. Dies zeige das Verhandlungsergebnis, so der renommierte Jurist.

Die Syriza-Ikone Manolis Glezos, 92 Jahre alt, Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten und seit vergangenem September Europaabgeordneter, rief gar zum offenen Widerstand gegen die jüngste Einigung mit Brüssel , Frankfurt und Washington auf. In einem gestern veröffentlichten Artikel schrieb Glezos: "Die Umbenennung der Troika in Institutionen, des Memorandums in Vereinbarung und der Gläubiger in Partner, ist so, als ob man das Fleisch Fisch tauft. Schade und wieder schade. Ich ersuche das griechische Volk um Entschuldigung, weil auch ich zu dieser Illusion beigetragen habe. Einige behaupten, in einer Vereinbarung muss man Zugeständnisse machen. Nur: Zwischen einem Unterdrückten und einem Unterdrücker kann es keinen Kompromiss geben, genauso wenig wie zwischen einem Sklaven und dem Eroberer. Die einzige Lösung heißt: Freiheit."

Dies sieht die Syriza-Gruppierung "Kommunistischer Trend", im Jahr 2013 gegründet und Herausgeber der Publikationen "Revolution" und "Marxistische Stimme", genauso. In einer harschen Stellungnahme forderte sie, es sei sofort ein Syriza-Parteikongress abzuhalten. Ziel müsse es sein, den betriebenen Regierungskurs sofort zu stoppen - den "Wechsel an der Parteispitze" inklusive.

In einer gestern im Syriza-Parteiblatt "Avgi" veröffentlichten Umfrage unterstützten hingegen 80 Prozent der Befragten den Kurs von Tsipras und Co. in den Verhandlungen mit den Gläubigern, nur 13 Prozent seien dagegen. Die Popularität von Regierungschef Tsipras sei obendrein auf fulminante 87 Prozent in die Höhe geschnellt, 42 Prozent mehr als noch bei der letzten Befragung. Doch es gibt einen Haken bei den Zahlen: Die betreffende Umfrage wurde vom 12. bis 17. Februar durchgeführt - und damit vor der Einigung in Brüssel .

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