„Van der Bellen verhindert eine tiefe Depression“

In Österreich hat ein Pro-Europäer die Wahl gewonnen, in Italien hat ein Pro-Europäer ein wichtiges Referendum verloren. Was folgt daraus für Brüssel und Berlin? Über diese Frage hat Rolf Mützenich, Außenexperte und SPD-Fraktionsvize, mit SZ-Korrespondent Stefan Vetter gesprochen.

Herr Mützenich, was bedeutet der vergangene Wahlsonntag jetzt für Europa?

Mützenich: Wäre das Votum in Österreich nicht zu Gunsten von Alexander Van der Bellen ausgegangen, dann hätten wir Pro-Europäer jetzt eine tiefe Depression. Denn dort stand ja gerade auch die europapolitische Orientierung des jetzt gewählten Bundespräsidenten im Fokus. Das Referendum in Italien war dagegen stark von innenpolitischen Machtfragen und dem Überleben des dortigen Ministerpräsidenten geprägt. Die nationalen Rahmenbedingungen der beiden Voten waren also sehr unterschiedlich.

Der vorzeitige Rücktritt eines italienischen Regierungschefs war bislang eher die Regel als die Aufnahme. Warum also jetzt die große Aufregung?

Mützenich: Matteo Renzi hat drängende innenpolitische Reformen zur Lösung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme Italiens angestoßen. Unter ihm hat sich das Land wieder zu einer wichtigen europäischen Stimme entwickelt. Italien ist Gründungsmitglied der EU. Ich hoffe darauf, dass die bisherige Koalition am Ende doch noch imstande sein kann, eine neue Regierung zu bilden. Neuwahlen sind nach den italienischen Regularien ja nicht automatisch zwingend.

Nach Lage der Dinge bekämen bei Neuwahlen in Italien wohl die Euro-Skeptiker und Rechtspopulisten Oberwasser . . .

Mützenich: Die gesellschaftliche Spaltung in liberale Demokraten und rechte Populisten zeigt sich in vielen Ländern Europas. Nehmen Sie Polen oder Frankreich oder die Niederlande. Diese Spaltung geht auch quer durch das EU-Parlament. Heute spielt dort weniger die Frage "links oder rechts" eine Rolle, sondern "pro- oder antieuropäisch".

Manche Experten befürchten nach dem gescheiterten Referendum in Italien die Rückkehr der europäischen Währungskrise. Fürchten Sie das auch?

Mützenich: Das ist nicht von der Hand zu weisen. Italien hat eine hohe Arbeitslosigkeit, und der Bankensektor schwächelt. Da kann das Votum zu neuen Verunsicherungen in der Europäischen Union und an den internationalen Finanzmärkten führen. Die politisch Verantwortlichen in Italien sind sich dieser Gefahr nach meiner Einschätzung aber auch bewusst und können gegensteuern.

Was kann die deutsche Bundesregierung aus den beiden Abstimmungen lernen?

Mützenich: Dass es sich lohnt, auf einen rationalen Wahlkampf zu setzen, wie Alexander Van der Bellen das getan hat. Die Kritik populistischer Bewegungen etwa an den politischen Eliten oder am Umfang der Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger müssen wir im Kern ernst nehmen. Aber auf der anderen Seite müssen wir die Werte einer Demokratie verteidigen.

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