US-Spione bringen auch „Made in Germany“ in Gefahr

Berlin · Industriespionage kostet die deutsche Wirtschaft Milliarden. Die Enthüllungen über die gigantische Schnüffelei des US-Geheimdienstes lassen Experten aufhorchen: Bislang galt China für Firmen als Angreifer Nummer eins.

Im Kalten Krieg setzten Geheimdienste auf Verräter und tote Briefkästen, um an brisante Unterlagen mit Betriebsgeheimnissen zu kommen. Im Cyber-Zeitalter wird Software in IT-Systeme von Konzernen geschleust, die Daten kopieren oder Konkurrenten schaden soll. Oder man liest und hört gleich alles mit, wie es der US-Geheimdienst NSA seit Jahren in Europa tun soll. Dass es den Amerikanern dabei nicht nur um Erkenntnisse im Anti-Terror-Kampf geht, sondern - gewissermaßen als "Beifang" - auch um Geschäftsinterna deutscher Technologie- und Rüstungsfirmen, wird in Berliner Regierungskreisen zumindest nicht verneint. Sind die USA in der Industriespionage ein neuer "Schurkenstaat"? Bislang galt China für die Wirtschaft als Angreifer Nummer eins.

Jahrelang haben Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst die Öffentlichkeit in teils markigen Worten vor der Cyber-Gefahr aus Fernost gewarnt. China bilde für den "Krieg im Internet", so Ex-BND-Chef August Hanning, Heerscharen von "Hackersoldaten" aus, um ausländische Regierungen und Konzerne zu attackieren. Auch Russland tauchte regelmäßig auf schwarzen Listen über kriminelle Cyber-Staaten auf. Über die USA hörte man in diesem Zusammenhang stets sehr wenig.

Noch Anfang Juni erklärte der oberste Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen: "Es gibt ein Land, das im Bereich Cyber natürlich sehr, sehr stark ist, das ist China." Maaßen machte sich für einen Dialog zwischen den USA und China über globale IT-Spielregeln stark. Vor vier Wochen galten die Amerikaner eher noch als die Guten. Nun dürften sie, wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, in einer Reihe mit Peking auf der Anklagebank jener Staaten sitzen, die eigene Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen rücksichtlos durchsetzen.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler, eigentlich ein überzeugter Transatlantiker, ist nicht amüsiert: "Wirtschaftsspionage unter engen Partner ist nicht akzeptabel", sagt der FDP-Chef. Es könne nicht angehen, dass Betriebsgeheimnisse gefährdet seien. "Sollte der Verdacht zutreffen, muss das abgestellt werden." Besonders betroffen sind kleine und mittelgroße Betriebe, die ihre Daten eher schlecht schützen. "Mittelständische Firmen sind sich häufig der Bedrohung durch illegalen Know-how-Transfer nicht bewusst", schreibt der Verfassungsschutz. Industrie-Spione greifen dabei im Netz verstärkt auf Werkzeuge von Online-Kriminellen zurück. So tauchen erweiterte Spähprogramme auf, mit denen ursprünglich Bankdaten geklaut wurden.

Der volkswirtschaftliche Schaden durch Industrie-Spionage ist schwer bezifferbar, weil die Dunkelziffern hoch sind. Die Beratungsfirma Corporate Trust geht von 4,2 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland aus. Am stärksten hätten es Spione auf Forschungsabteilung sowie Daten zu Übernahmen und Fusionen abgesehen. Unkalkulierbar bleibt der Faktor Mensch: Oft sind es die eigenen Mitarbeiter, die Geheimnisse verkaufen.

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