Unterwegs mit den Launen der Natur

Saarbrücken. "Das haben wir gut hingekriegt", sagt Raimund Peitz und zieht sich den weißen Motorradhelm vom Kopf. Zum Vorschein kommt ein gebräuntes Gesicht, das eisengraue Haar ist raspelkurz geschnitten. Um die Augen zeugen kleine Fältchen davon, dass Raimund Peitz gerne und viel lacht. Auch jetzt liegt ein ironisches Lächeln um seine Lippen, während er nach oben blickt

 Die große Freiheit auf zwei Rädern: Der Motorradstammtisch Saarbrücken bei seiner ersten Fahrt im Jahr 2011. Fotos: Oliver Dietze

Die große Freiheit auf zwei Rädern: Der Motorradstammtisch Saarbrücken bei seiner ersten Fahrt im Jahr 2011. Fotos: Oliver Dietze

Saarbrücken. "Das haben wir gut hingekriegt", sagt Raimund Peitz und zieht sich den weißen Motorradhelm vom Kopf. Zum Vorschein kommt ein gebräuntes Gesicht, das eisengraue Haar ist raspelkurz geschnitten. Um die Augen zeugen kleine Fältchen davon, dass Raimund Peitz gerne und viel lacht. Auch jetzt liegt ein ironisches Lächeln um seine Lippen, während er nach oben blickt. Dicke graue Wolken hängen am Himmel, nur vereinzelt kämpft sich die Sonne mit ihren Strahlen durch. "Wir haben uns genau den einen schlechten Tag in der Woche ausgesucht. Aber vielleicht haben wir ja Glück."Neun Männer vom Motorradstammtisch Saarbrücken haben sich an diesem Samstagmorgen am Treffpunkt in Güdingen eingefunden, um die erste große Tour des Jahres zu machen. Rund 350 Kilometer durch die Vogesen wollen sie fahren - und lassen sich dabei vom launenhaften Wetter nicht abschrecken. Alle neun tragen Motorrad-Kombinationen aus Leder und wasserdichten Materialien, die Füße stecken in schweren Schuhen. Als sie ihre Maschinen anwerfen, liegt ein verheißungsvolles Brummen in der Luft.

Ein kurzes Stück geht die Fahrt über Autobahn und Nationalstraße. Raimund Peitz führt die Gruppe an. In Hesse bei Sarrebourg lassen die Motorradfahrer das Verkehrsgetümmel hinter sich. Nahezu leer liegen die Straßen vor ihnen. Die Wolken haben sich verzogen, die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Bis zum ersten Anstieg in den Vogesen ist es nicht mehr weit.

Unten im Tal hat der Frühling den Durchbruch schon geschafft. In den Dörfern blühen Narzissen, Forsythien und Magnolienbäume in den Vorgärten - verwischte gelbe, weiße und rosa Farbtupfer. Die Wiesen neben den Straßen sind saftig grün. Zottelige Rinder grasen auf einer Weide. Sie schauen nicht einmal auf, als die Motorrad-Kolonne vorbeibraust. Der herbe Geruch der Tiere begleitet die Biker einige flüchtige Momente, ehe er im Fahrtwind verfliegt und dem erdig-würzigen Duft des Waldes weicht.

Der Anstieg auf den Col du Donon beginnt, jenen Berg, auf dem die Quellflüsse der Saar entspringen. "Sarre Blanche" steht auf einem Schild. Der Fluss, hier noch kaum mehr als ein Bach, schlängelt sich am Straßenrand entlang. Kurve um Kurve geht es hinauf zum Gipfel. Wie Murmeln auf einer Kette fädeln sich die Motorradfahrer um die Serpentinen. Der Wind ist jetzt kalt und schneidend. Hier oben, auf rund 1000 Metern Höhe, hat der Winter noch nicht aufgegeben. Im Straßengraben liegt ein wenig Schnee.

Es ist vor allem das unmittelbare Naturerlebnis, das die Motorradfahrer vom Saarbrücker Stammtisch fasziniert. "Man kann nicht nur alles sehen, sondern es auch riechen, spüren und schmecken. Das ist viel intensiver, als wenn man mit dem Auto unterwegs ist", sagt Marvin Roth. Hinzu kommen der Spaß an der Gemeinsamkeit in der Gruppe und der sportliche Reiz, die starke Maschine unter sich zu bewegen.

Zeit für eine Pause. In einer Kurve auf dem Anstieg zum Col du Kreuzweg hält Raimund Peitz an einer Nebenstraße, an der drei Parkbänke stehen. Dann öffnet er die zwei Koffer an den Seiten seines Motorrads - et voilà: Lyoner, Käse, gefärbte Eier, Weißbrot, ein Tütchen Würfelzucker, Kaffeesahne, eine Thermoskanne und sogar eine Tischdecke. Alles, was man für ein Picknick braucht. Raimund Peitz breitet seine Gaben auf einer Bank aus und die neun Männer stürzen sich hungrig auf das zweite Frühstück. "Ich hoffe, es hat nichts zu bedeuten, dass wir ausgerechnet hier Pause machen. So alt sind wir doch noch nicht", scherzt Marvin Roth, während er sich umschaut. Die drei Bänke stehen neben einer verwitterten Mauer, über der Kreuze und Grabsteine hervorspitzen - ein Friedhof. "Naja, ich spüre meine Knochen jetzt schon", entgegnet Christoph Jochum lachend.

Seit 15 Jahren gehen die Männer des Motorradstammtischs gemeinsam auf Tour, der harte Kern besteht aus etwa 15 Leuten. Sie waren unter anderem in Schottland, Südfrankreich, Kroatien und den Dolomiten. In diesem Sommer wollen sie die Toskana erkunden. Die Gruppe ist bunt gemischt, sowohl was das Alter als auch die Berufe angeht. Bei der Tour in den Vogesen ist vom Banker und Rechtsanwalt über den Lehrer und den Plattenleger bis hin zum IT-Spezialisten und Pensionär alles dabei. Die Jüngsten sind um die 40, die Ältesten Mitte 60. Eine "inhomogene Homogenität" nennt es Raimund Peitz scherzhaft.

Das Wetter ist wieder umgeschlagen. Weiß und grau türmen sich die Wolken am Himmel. Erste Tropfen prallen gegen das Visier des Motorradhelms. Dann regnet es sich ein. Die Biker drosseln das Tempo, meiden rutschige und holprige Stellen im Asphalt, fahren die Kurven sorgfältig aus. An einem Parkplatz fahren sie rechts ran, um "Kriegsrat" zu halten. Auf dem schnellsten Weg nach Hause, heißt das Ergebnis.

Das Thema Sicherheit ist der Saarbrücker Motorradgruppe sehr wichtig. "Zehn Jahre lang haben wir jede Saison mit einem gemeinsamen Sicherheitstraining begonnen", erzählt Marvin Roth. Dabei lerne man vor allem vorausschauendes Fahren, um mögliche Risiken zu mindern, aber auch Bremsen, Ausweichen und Hindernisfahren. "Ich finde, jeder Motorradfahrer sollte verpflichtend einmal so ein Training gemacht haben", ergänzt Christoph Jochum. Gerade im Frühling passieren viele Motorradunfälle. Insgesamt zehn Motorradfahrer kamen im Saarland im vergangenen Jahr ums Leben. Auch weil nasse Straßen ein Risiko sind, hat sich die Gruppe entschieden, die Tour abzubrechen. "Aber vorher kehren wir noch für einen Kaffee ein", sagt Raimund Peitz.

 Gruppenfoto vor der Tour (v.l.): Raimund Peitz, Marvin Roth, Herbert Leinen, Helmut Süss, Hermann Lauer, Franz Grill, Torsten Ochs, Christoph Jochum und Frank Zimmermann.

Gruppenfoto vor der Tour (v.l.): Raimund Peitz, Marvin Roth, Herbert Leinen, Helmut Süss, Hermann Lauer, Franz Grill, Torsten Ochs, Christoph Jochum und Frank Zimmermann.

Doch beim Restaurant auf dem Col du Donon kommen nur acht Fahrer an. Wo ist Marvin Roth geblieben? Minuten später fährt er auf den Parkplatz. "Ich bin versehentlich auf den Not-Aus-Schalter gekommen", sagt er ein wenig verlegen. "Dafür geht die Rechnung auf mich." Frank Zimmermann lacht und entgegnet: "Mich wundert eigentlich nur, dass wir erst so spät jemanden verloren haben."

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