"Unternehmen Kuckuck" auf dem Vormarsch
Berlin. Wer möchte schon gerne, dass der Gerichtsvollzieher bei ihm klingelt? In Zeiten der Finanzkrise kommen solche unangenehmen Hausbesuche aber immer häufiger vor. Bislang sind es Beamte, die diese heikle hoheitliche Aufgabe übernehmen
Berlin. Wer möchte schon gerne, dass der Gerichtsvollzieher bei ihm klingelt? In Zeiten der Finanzkrise kommen solche unangenehmen Hausbesuche aber immer häufiger vor. Bislang sind es Beamte, die diese heikle hoheitliche Aufgabe übernehmen. Geht es nach dem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung, wird sich das bald ändern: Angesichts der Pleitewelle, der steigenden Zahl der Zwangsvollstreckungen und der desolaten Lage der öffentlichen Haushalte wollen Union und FDP das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren. "Unternehmen Kuckuck" - offenbar eines mit Zukunft.
Die Bundesregierung greift damit eine Initiative der Länder aus dem Jahre 2007 auf, die damals aber vom Bundestag verworfen wurde. Demnach ist die Privatisierung in Form eines Beleihungsmodells geplant. Dabei werden selbstständig tätige Private mit dem öffentlichen Amt des Gerichtsvollziehers "beliehen". Sie üben dann diese Aufgabe unter Aufsicht des Staates aus, tragen aber das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit selbst.
Experten sehen in diesem Systemwechsel vor allem eine Entlastung der Länderhaushalte, da sich die privaten Gerichtsvollzieher dann über eine Gebührensteigerung um mindestens das Dreifache selbst finanzieren müssen. Derzeit fallen laut Gerichtsvollzieherbund Kosten bis 12,50 Euro an, die in der Regel der Schuldner zu tragen hat.
Neben der Haushaltsersparnis geht es auch um eine schnellere Vollstreckung. Denn die Wartezeiten sind lang, weil Gläubiger, wissen Verbraucherschützer, inzwischen viel häufiger bei Gericht einen so genannten Titel beantragen. Er berechtigt dazu, einen der rund 5000 Gerichtsvollzieher (61 im Saarland) mit Pfändungsauftrag zum Schuldner zu schicken. Das passiere schon wegen einer unbeglichenen Handy-Rechnung von 50 Euro, heißt es. Ist der Mann erstmal da, kann er fast alles pfänden, was in der Wohnung Wert hat.
Zur Vollstreckung von Urteilen sind dem Gerichtsvollzieher allerdings auch Zwangsmittel an die Hand gegeben. Völlig offen ist noch, wie dies für Private geregelt werden soll. Schon warnen Experten, dass der Wettbewerb im Gerichtsvollzieherwesen vor allem dem Schutz der häufig sozial schwächeren Schuldner zuwiderlaufe. Laut dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), handele es sich deshalb um ein "hoch sensibles Thema". Dass man "auf eine Vollstreckungsmaßnahme viel zu lange warten muss, ist aber ein Problem", so Kauder zu unserer Zeitung. Allerdings sei eine Privatisierung nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag durchzusetzen, da das Grundgesetz geändert werden müsse. "Da weiß man, wie hoch die Messlatte hängt." Ähnlich sieht dies das saarländische Justizministerium. "Die verfassungsändernde Mehrheit ist nicht absehbar", sagte gestern ein Sprecher auf SZ-Anfrage. Das Thema sei zwar nicht neu, aber es gebe nach wie vor eine "Vielzahl ungeklärter Fragen". Auch der Landesverband der Gerichtsvollzieher bewertet den neuerlichen Vorstoß skeptisch. Den letzten Gesetzentwurf hatte der Verband strikt abgelehnt.
Laut Gerichtsvollzieherbund sind derzeit bis zu vier Millionen Haushalte verschuldet. Die durchschnittliche Verschuldung liege bei 36 000 Euro. Neben Verbrauchern treffe es zunehmend den Mittelstand oder die Gastronomie, die wegen der Finanzkrise in Zahlungsschwierigkeiten geraten seien. In diesem Jahr erwartet der Verband eine neue Welle der Zwangsvollstreckungen - und damit jede Menge Arbeit für die Gerichtsvollzieher.