Unliebsames Jubiläum

Vor einem Jahr wurde das Betreuungsgeld für Familien eingeführt. Doch vor allem im Osten wird es kaum genutzt. Kritiker verspotten die Sozialleistung bis heute als „Herdprämie“.

Berlin. Nein, Freunde des Betreuungsgeldes werden die Sozialdemokraten sicher nicht mehr werden. "Wir haben das so vorgefunden, und auch durch den Koalitionsvertrag war es nicht wegzukriegen", meint die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Elke Ferner (SPD ), betont distanziert. Am 1. August wird die auch als "Herdprämie" verspottete Sozialleistung ein Jahr alt. Aber im Familienressort ist keine Feier geplant. Auch keine fachmännische Bewertung der Auswirkungen, im Polit-Jargon Evaluierung genannt. Laut Gesetz kann sich das Ministerium damit bis zum Ende des Jahres 2015 Zeit lassen. Am besten gar nicht groß über die Sache reden, lautet offenbar die Devise.

Dabei war die öffentliche Aufregung über das Betreuungsgeld lange Zeit groß. Wohl auch deshalb, weil es sich um ein Lieblingsprojekt der CSU in Bayern handelte. Seit dem 1. August 2013 können Eltern derzeit 100 Euro im Monat beanspruchen, wenn sie ihr Kind ausdrücklich nicht einer öffentlich geförderten Kita oder Tagespflege betreuen lassen. Gezahlt wird vom 15. Lebensmonat des Kindes an für maximal 22 Lebensmonate. Kritikern, einschließlich der SPD , galt das noch unter der schwarz-gelben Koalition verabschiedete Gesetz als Zementierung eines konservativen Familienbilds, bei dem der Ehemann fürs Einkommen sorgt und die Frau brav zu Hause bleibt. Obendrein wurden Befürchtungen laut, dass gerade Kinder aus sozial schwachen Haushalten oder von Migranten von einer öffentlichen Bildungseinrichtung ferngehalten werden könnten. "Für wirtschaftlich benachteiligte Eltern sind die zunächst 100 Euro und später 150 Euro pro Monat viel Geld", erklärte damals der renommierte Sozialforscher Klaus Hurrelmann. Deshalb würden sie alles tun, "um an dieses Geld zu gelangen."

Noch gibt es dazu keine umfassenden Untersuchungen. Eine bislang unveröffentlichte Studie der TU Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts, die im vergangenen Monat in Auszügen bekannt wurde, scheint die Mutmaßungen der Kritiker allerdings zu bestätigen. Darin heißt es, dass das Betreuungsgeld besonders für jene Familien attraktiv sei, "die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben". Daher sei das Betreuungsgeld im Hinblick auf die Chancengerechtigkeit "kontraindiziert" - also widersinnig.

Die aktuell verfügbare Zahl der Nutzer rechtfertigt eine allzu große Empörung allerdings nicht. Demnach wird das Betreuungsgeld für insgesamt 146 000 Kinder gezahlt. Allerdings ist die Zahl der Anträge in den letzten Wochen hochgeschnellt, auf insgesamt 280 000. Möglicher Grund: Ab dem 1. August werden 150 Euro im Monat bezahlt. Zum Vergleich: Rund 1,2 Millionen Kinder im Alter bis unter vier Jahre besuchten im vergangenen Jahr einen Kindergarten.

Vor allem im Osten spielt das Betreuungsgeld kaum eine Rolle. Es wird dort lediglich an 11 500 Kinder ausgereicht. Allein in Bayern ist die Zahl drei Mal größer. "Man kann schon sagen, dass diese Maßnahme nicht gerade auf eine wahnsinnige Nachfrage stößt", erklärt Hurrelmann heute dazu.

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