Koalitionsgespräche Union und SPD wollen 8000 Pflegekräfte mehr

Berlin · In kleinen Schritten kommen die Koalitionsverhandlungen in Berlin voran. Eine Einigung gab es bei den Themen Pflege und Rente.

 Ein Pfleger verteilt Medikamente an die Bewohner eines Altenheims. Union und SPD haben sich jetzt darauf verständigt, in dem Bereich 8000 neue Fachkraftstellen zu schaffen. Da sind 92 000 zu wenig, meinen Sozialverbände.

Ein Pfleger verteilt Medikamente an die Bewohner eines Altenheims. Union und SPD haben sich jetzt darauf verständigt, in dem Bereich 8000 neue Fachkraftstellen zu schaffen. Da sind 92 000 zu wenig, meinen Sozialverbände.

Foto: dpa/Arno Burgi

Union und SPD haben bei ihren Koalitionsverhandlungen mit Rente und Pflege zwei wichtige, aber wenig umstrittene Themen weitgehend abgeräumt. In der Flüchtlingspolitik streiten sie dagegen trotz eines mühsamen ersten Kompromisses weiter. Auch bei der Gesundheitspolitik, wo die SPD eine Bürgerversicherung und eine Angleichung der Arzthonorare für privat und gesetzlich Versicherte fordert, war zunächst keine Einigung in Sicht. Ebenso sind Union und SPD bei ihrem dritten Hauptstreitpunkt, der SPD-Forderung nach einem Ende grundloser Befristungen von Jobs, noch weit auseinander.

Dem Vernehmen nach beträgt der Finanzspielraum für die Projekte einer großen Koalition in dieser Legislaturperiode um die 45 Milliarden Euro. CSU-Chef Horst Seehofer zog ein positives Zwischenfazit der Koalitionsgespräche. „Ich habe den Eindruck, dass in den Parteispitzen und -führungen viel Wille da ist, diese gemeinsamen Lösungen auch gemeinsam zu vertreten.“

Bei der Rente verständigten sich beide Seiten gestern, bis 2025 eine Obergrenze beim Beitragssatz von 20 Prozent einzuhalten. Der Beitragssatz liegt aktuell bei 18,6 Prozent. Schon bei ihren Sondierungen hatten Union und SPD vereinbart, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent fallen soll. Dieses Verhältnis der Rente zum Lohn soll nach derzeitigen Prognosen 2024 noch bei 48, 2025 dann bei 47,4 Prozent liegen. Für die Zeit nach 2025 soll eine Rentenkommission eingerichtet werden.

Bei dem von der CSU durchgesetzten Plan einer ausgeweiteten Mütterrente sollen die Mehrausgaben nicht aus zusätzlichen Steuermitteln bestritten werden. Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Erwartet werden dafür Kosten von 3,4 Milliarden Euro. Die geplante Grundrente „zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung“ dürfte vergleichsweise niedrige Kosten im dreistelligen Millionenbereich verursachen, hieß es.

Bereits in der Nacht zu gestern verständigten sich die Unterhändler darauf, für Alten- und Krankenpfleger eine bessere Bezahlung durchzusetzen. Wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) weiter deutlich machte, sollen Sofortmaßnahmen für eine bessere Personalausstattung eingeleitet und in einem ersten Schritt 8000 neue Fachkraftstellen geschaffen werden. Pflegende Angehörige sollen stärker unterstützt werden.

Mehrkosten sollen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen, versicherte Dreyer. Mit den Tarifpartnern solle dafür gesorgt werden, dass Tarifverträge flächendeckend zur Anwendung kommen.

Kritik gab es von Seiten der Sozialverbände. „Die Mehrkosten für bessere Bezahlung und mehr Personal dürfen nicht dazu führen, dass die Eigenanteile von Pflegebedürftigen weiter steigen“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Der Arbeitgeberverband Pflege forderte eine Verdoppelung der Ausgaben für die Altenpflege mit Steuermitteln. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält die Einigung auf 8000 zusätzliche Pflegekräfte für „nicht annähernd ausreichend, um den Pflegenotstand wirksam zu beheben“. Er schätzt den Bedarf an zusätzlichem Personal auf rund 100 000 Pflegekräfte.

Misstöne zwischen Union und SPD gibt es auch weiterhin beim Reizthema Familiennachzug für Flüchtlinge. Gleichwohl wird erwartet, dass eine vorübergehende Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs heute im Bundestag eine Mehrheit bekommen wird. Die Grünen starteten kurz vor der Entscheidung zum Familiennachzug eine Online-Kampagne #FamilienVereint. Spitzenpolitiker posten Kindheitsbilder mit der Botschaft: „Ich will, dass jedes Kind in Sicherheit bei seiner Familie aufwachsen kann – so wie ich das auch konnte.“

SPD-Vize Ralf Stegner nannte die CSU am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ scheinheilig: Er sei „sehr befremdet, dass eine Partei, die sich christlich nennt, mit einer solchen Inbrunst gegen die Zusammenführung von Familien“ kämpfe. Bei einer Neuauflage von Schwarz-Rot gehe es „maximal“ um eine Lebensabschnittspartnerschaft, „die dann hoffentlich bald auch wieder enden wird“. CSU-Chef Seehofer kritisierte Stegner daraufhin als „Konsensbremse“.

Die Unterhändler hatten sich am Dienstag verständigt, dass Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ab August in begrenztem Umfang wieder Angehörige nach Deutschland nachholen dürfen. Bis dahin bleibt der Familiennachzug ausgesetzt. Ab August gilt eine Grenze von 1000 Menschen pro Monat, zuzüglich Härtefällen.

Kein Ende der Differenzen ist auch beim Streitpunkt Gesundheit absehbar. Die SPD ist mit der Forderung nach einem Einstieg in das Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“ in die Gespräche gegangen. Die Union signalisierte bei bestimmten Punkten Entgegenkommen, etwa bei der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum und bei den Terminservicestellen. Die von der SPD geforderte Bürgerversicherung lehnt sie aber ebenso vehement ab wie einheitliche Arzthonorare.

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