Mehrheit für Rechtsstaatsverfahren Ungarn droht die schärfste Waffe der EU

Straßburg · Straßburg macht den Weg frei, um die Regierung Orbán zu bestrafen – nicht nur wegen der Flüchtlinge.

 Was nun, Herr Orbán? Die Regierung des Ungarn steht vor einem Strafverfahren der EU.

Was nun, Herr Orbán? Die Regierung des Ungarn steht vor einem Strafverfahren der EU.

Foto: Marko Erd/TASR/dpa/Marko Erd

„Hallo Diktator!“ So hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán schon vor ein paar Jahren bei einem EU-Gipfel begrüßt. An einen rauen Ton dürfte der rechtsnationale Politiker also gewöhnt sein. Doch nach Jahren des Dauerstreits über verletzte EU-Grundwerte in Ungarn ist jetzt eine neue Eskalationsstufe erreicht. Das Europaparlament stimmte gestern mit Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Bericht, in dem gegen Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren gefordert wird. Damit brachten die Abgeordneten die schärfste Waffe der EU gegenüber Mitgliedstaaten in Stellung.

Das sogenannte Artikel-7-Verfahren – im EU-Jargon auch „die Atombombe“ genannt“ – kann im äußersten Fall zum Verlust von Stimmrechten im Ministerrat führen. Bislang wurde es erst einmal eingeleitet: im Dezember gegen Polen. Nun muss sich der Rat der EU-Länder mit einem zweiten Fall befassen. Vor möglichen Strafmaßnahmen gegen Ungarn stehen aber noch hohe Hürden.

Basis für die Abstimmung war ein brisanter Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini. Es herrsche eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“, heißt es darin. Detailliert und unter Berufung auf offizielle Befunde von anderen Institutionen listet die Abgeordnete die Kritikpunkte an der Arbeit der rechtsnationalen Regierung auf: Die Meinungsfreiheit in dem Land sei eingeschränkt, das Justiz- und Verfassungssystem geschwächt, Nicht-Regierungs-Organisationen werde die Arbeit absichtlich schwer gemacht, Minderheiten und Flüchtlinge würden in ihren Rechten verletzt. Daher sei ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn nötig.

Wegen der restriktiven Asylpolitik laufen gegen das Land bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU – unter anderem weil die Regierung Orbán sich weigert, Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen. Orbans Regierung hat außerdem einen Zaun an seinen Grenzen zu Serbien und Kroatien errichten lassen, um „illegale Migranten“ zu stoppen.

Zuletzt wirkte es fast, als lege Orbán es darauf an, dass das Strafverfahren kommt. Statt zu beschwichtigen oder Zugeständnisse zu machen, überzog er die Parlamentarier und den Bericht noch kurz vor der Abstimmung mit beißender Kritik. Der Text beleidige die Ehre Ungarns, er strotze vor Fehlern und sei darauf aus, das ungarische Volk zu verurteilen, weil es nicht in einem Einwanderungsland leben wolle, sagte er bei einem Auftritt vor den Abgeordneten am Dienstag. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto blies gestern unmittelbar nach der Abstimmung in dasselbe Horn: „Dies ist nichts anderes als die kleinliche Rache migrationsfreundlicher Politiker“, sagte er in Budapest. „Ungarn und seine Menschen hat man bestraft, weil sie bewiesen haben, dass die Migration kein naturgegebener Vorgang ist und dass man sie aufhalten kann.“

Besonders die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) steckt wegen Orbán in der Klemme. Der Fraktion gehört im EU-Parlament neben CDU und CSU auch Ungarns rechtsnationale Fidesz an. Von vielen Seiten wurde die Fraktion zuletzt gedrängt, sich von den ungarischen Parteifreunden zu distanzieren. Nun hat eine deutliche Mehrheit der EVP-Abgeordneten für das Strafverfahren gestimmt, darunter Fraktionschef Manfred Weber (CSU).

„Orban hätte einen kleinen Schritt machen müssen“, sagte der langjährige CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok dem Sender phoenix. „Das ist eine wichtige Botschaft für ihn, dass seine eigenen Truppen nicht mehr mitmachen.“ Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, äußerte die Hoffnung, dass sich jetzt etwas tut in Ungarn. Ob Orbáns Partei nun der Rauswurf aus der EVP droht, ist offen. Einladungen von Rechtspopulisten gab es derweil schon.

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