Und wieder herrscht der Ausnahmezustand

Geschäfte und Geldautomaten werden geplündert, Autos brennen, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Steine fliegen, während die Polizei Tränengasgranaten in die Menge feuert. Mitten in dem Gewühl wird auf einen Mann geschossen, der seither mit lebensbedrohlichen Verletzungen auf der Intensivstation eines Krankenhauses liegt. In der größten Stadt North Carolinas, einer Finanzmetropole, die sich gern als Boomtown des amerikanischen Südens feiern lässt, gilt seit der Nacht zum Donnerstag der Ausnahmezustand. Was in Charlotte passiert, hat Amerika in den letzten Monaten immer wieder erlebt. Des Öfteren führt das Vorgehen weißer Polizisten gegen Schwarze zu Protesten, die eskalieren.

 Die Lage ist angespannt in Charlotte: In der US-Stadt stehen sich Bürger und Polizisten seit Dienstag immer wieder gewaltsam gegenüber. Im Hintergrund geht es um einen tief verwurzelten Konflikt.Foto: Penna/dpa

Die Lage ist angespannt in Charlotte: In der US-Stadt stehen sich Bürger und Polizisten seit Dienstag immer wieder gewaltsam gegenüber. Im Hintergrund geht es um einen tief verwurzelten Konflikt.Foto: Penna/dpa

Foto: Penna/dpa

Auslöser der Proteste waren die tödlichen Schüsse des 26-jährigen Streifenpolizisten Brentley Vinson am Dienstag auf Keith Lamont Scott, einen 43 Jahre alten Afroamerikaner und Familienvater. Zwei völlig unterschiedliche Versionen machen dazu die Runde. Nach der Schilderung seiner trauernden Familie saß Scott auf einem Parkplatz friedlich in seinem Auto, ein Buch in der Hand, um auf seinen Sohn zu warten. Nach Darstellung der Polizei war er bewaffnet und weigerte sich trotz mehrfacher Aufforderung, seine Pistole niederzulegen. Ein Videofilm, der das Geschehene angeblich lückenlos dokumentiert, könnte für Aufklärung sorgen. Einige der Beamten, die den Polizisten Vinson begleiteten, waren mit sogenannten "Body Cameras” ausgestattet.

Während die Bürgerrechtsliga ACLU die sofortige Freigabe des Videos verlangt, hält das lokale Police Department das Band derzeit noch unter Verschluss, mit dem Argument, dass man erst die Ermittlungen abschließen müsse. Was die Debatte zusätzlich mit Emotionen auflädt: Am 1. Oktober tritt in North Carolina ein Gesetz in Kraft, wonach die Polizei Videoaufnahmen erst dann veröffentlichen muss, wenn ein Richter sie dazu verpflichtet. Bürgerrechtler sehen darin einen Beleg, dass die Behörden des Bundesstaats nicht an Transparenz interessiert seien, sondern vielmehr auf Zeit spielten.

Mitten in die angespannte Lage platzt nun ausgerechnet der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump mit einem besonders umstrittenen Vorschlag. Der Milliardär fordert die landesweite Einführung einer zweifelhaften Polizeitaktik: "Stop and Frisk" ("Anhalten und Filzen") sei die Lösung, sagt er. Die Taktik gestattet es einer Polizeipatrouille, Passanten ohne konkreten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen. Junge Schwarze und Latinos geraten dabei erfahrungsgemäß weit häufiger ins Visier der Ordnungshüter als junge Weiße. In New York, wo sie jahrelang angewandt wurde, hatte ein Bundesrichter das Vorgehen 2013 für unrechtmäßig erklärt, weil es nach seinem Urteil ethnische Minderheiten diskriminiert und damit gegen die Verfassung verstößt.

Bei den rund fünf Millionen New Yorkern, die insgesamt bei den willkürlichen Kontrollen gefilzt wurden, handelte es sich zu 83 Prozent um Afroamerikaner und Hispanics, obwohl beide Gruppen nur etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung stellen. In vielen Fällen mussten junge Männer ins Gefängnis, weil sich bei der Leibesvisitation herausstellte, dass sie Marihuana besaßen, wenn auch zumeist nur in kleineren Mengen. Der Demokrat Bill de Blasio, Vater eines Jungen mit Afrofrisur, hatte die Bürgermeisterwahl vor drei Jahren auch deshalb gewonnen, weil er sich ohne Wenn und Aber von "Stop and Frisk" distanzierte. Seitdem hat es in New York keinen nennenswerten Anstieg der Kriminalität gegeben.

Meinung:

Schnell Klarheit schaffen

Von SZ-Korrespondent Frank Herrmann

Saß er friedlich in seinem Auto? Oder war der Afroamerikaner Keith Lamont Scott bewaffnet und gefährlich? Von der Antwort kann abhängen, ob die schweren Unruhen in Charlotte schnell beendet werden oder weiter eskalieren. Ob sich auch diese Stadt ins kollektive Gedächtnis des Landes einbrennt, so wie in den Jahren zuvor Ferguson oder Baltimore. Als ein Ort, an dem sich angestaute Spannungen in Gewaltorgien entladen. Weil Schwarze weitaus häufiger als Weiße in Polizeikontrollen geraten, entsteht der Eindruck rassistisch motivierter Benachteiligung. Welche Richtung Charlotte einschlägt, bleibt abzuwarten. An rückhaltloser Transparenz aber führt kein Weg vorbei. Das Polizeivideo muss schnellstmöglich veröffentlicht werden, soll die Stadt nicht im Chaos versinken.

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