Und sie bewegt sich (vielleicht) doch
Im Erzbistum Köln ist am Freitag etwas passiert, das bis vor kurzem wohl die wenigsten für möglich gehalten hätten: Die katholische Kirche hat gleichsam amtlich festgestellt, dass ihr das Volk den Gehorsam aufgekündigt hat. Ranghohe Vertreter des größten deutschen Bistums beriefen im Generalvikariat eine Pressekonferenz ein und erklärten dort: Die kirchliche Lehre zu Themen wie Empfängnisverhütung, vorehelicher Sex, Homosexualität und Scheidung wird von den Gläubigen nicht mehr geteilt.
"Insgesamt wird die Lehre der Kirche als welt- und beziehungsfremd angesehen", stellt das Erzbistum fest.
Die Offenheit, mit der das geschah, die Schonungslosigkeit der Formulierungen ging über alles hinaus, was man bisher an Selbstkritik kannte. Kardinal Joachim Meisner, der konservative Erzbischof, saß zwar nicht mit am Tisch, hatte der Veröffentlichung der Umfrage aber zugestimmt - anders als andere Bischöfe. "Wir wollten nichts glattbügeln oder schönfärben", sagt Monsignore Markus Bosbach. Die Haltung Meisners kann man bewundern. Denn der 79-Jährige, der bis Februar aus dem Amt scheiden wird, muss sich angesichts dieser Ergebnisse fragen, was seine Tätigkeit in Köln eigentlich bewirkt hat: 25 Jahre lang hat er dem Erzbistum vorgestanden und in dieser Zeit nach Kräften konservative Einstellungen und Leute befördert. Doch geholfen hat es offenbar nicht - die Gläubigen denken nach wie vor anders als er.
Meisner vertritt gern die Ansicht, dass die kritischen Katholiken eben diejenigen seien, die sich lautstark zu äußern pflegten - die schweigende Mehrheit dagegen sei durchaus gehorsam. Doch die Umfrage scheint ihn auch in diesem Punkt zu widerlegen. Sie ist zwar nicht repräsentativ, weil sie nicht von einem Meinungsforschungsinstitut erhoben wurde, doch haben sich alle maßgeblichen katholischen Gremien und Verbände eingebracht. Hier melden sich nicht liberale Kirchentagskatholiken zu Wort, hier sprechen diejenigen, die in den Pfarreien wirklich aktiv sind.
Konservative hatten an Gleichgesinnte appelliert, sich ebenfalls an der Umfrage zu beteiligen, um das Gesamtbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Doch angesichts der Ergebnisse muss man feststellen: Entweder ist der Aufruf verhallt - oder die Konservativen stellen im Rheinland eine verschwindende Minderheit dar. So konnten beispielsweise viele Gläubige nicht verstehen, dass sich die Kirche der Öffnung der standesamtlichen Ehe für Homosexuelle widersetze. Und auch wiederverheiratete Geschiedene fühlten sich von der Amtskirche diskriminiert und ausgegrenzt.
Verständlich also, dass unter reformorientierten Katholiken immer öfter die Worte "Glasnost" und "Perestroika" fallen. Ihr Gorbatschow ist natürlich Papst Franziskus, der auch diese Umfrage initiiert hat. Vor der für nächstes Jahr geplanten Bischofssynode in Rom zu Familienfragen will er ein weltweites Stimmungsbild erheben. Dabei gehe der Vatikan mit einer zuvor nicht gekannten "Grundschnelligkeit" vor, konstatierte am Freitag Holger Dörnemann, der im Erzbistum das Referat Ehe und Familie leitet. Nur vier Wochen blieb dem Erzbistum Zeit, um die Einstellungen der Gläubigen zu ergründen. Mit großem Eifer scheinen die Verantwortlichen diese Chance genutzt zu haben.
Zur neuen Dynamik durch Franziskus kommt im Erzbistum Köln noch der für die nächsten Wochen angekündigte Rückzug von Kardinal Meisner. Schon hat sich eine Initiative gebildet, die Mitbestimmungsrechte der Gläubigen bei der Wahl seines Nachfolgers fordert. Schon verlangen kritische Katholiken in einer Denkschrift einen Mann des Dialogs als neuen Erzbischof.
Von konservativer Seite ist zu hören, dass sich die Reformwilligen nur nicht zu früh freuen sollten. Papst Franziskus habe ohne Zweifel einen anderen Stil als seine Vorgänger. Wenn es um die Lehre selbst gehe, sei er jedoch ebenso katholisch wie Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. Die Konservativen nicht nur im Erzbistum Köln erwarten denn auch, dass die Synode konkret wenig ändern wird. Sollte sich das bestätigen, könnte die derzeitige Aufbruchsstimmung unter den deutschen Katholiken auch schnell wieder verpuffen.
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HintergrundDie kritische Umfrage tue der katholischen Kirche "sehr gut". Das findet die Lebacherin Rita Waschbüsch, Ex-Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Wichtig sei nun, dass die Kirche die richtigen Lehren daraus ziehe. "Sie muss sich fragen, ob sie es nur nicht geschafft hat, ihre Intentionen richtig zu vermitteln oder ob ihre Intentionen teilweise nicht zeitgemäß sind." Dass gerade Verhütung, scheiternde Ehen und Homosexualität thematisiert wurden, sei "wenig überraschend", sagt Annegret Laakmann von "Wir sind Kirche". "Viele sehen in Priestern gerade beim Thema Familienleben keine kompetenten Ansprechpartner mehr." red