Und dann kam das Wasser

Plötzlich fiel die Mauer um. "Ein 20 Meter langes Stück. Einfach so." Klaus Kiefer muss beinahe lachen, als er sich an diesen Moment erinnert. "Wir liegen im Hotel-Pool und da fällt plötzlich ein paar Meter weiter die Mauer um." Kiefer, damals 52 Jahre alt und als selbstständiger Bauberater auch im Urlaub mit dem Blick des Fachmanns unterwegs, vermutete erst einmal Pfusch.

 Die Schule in Weligama war nach dem Tsunami völlig zerstört. Der Wiederaufbau dauerte fast ein Jahr. Foto: Maren Nolte

Die Schule in Weligama war nach dem Tsunami völlig zerstört. Der Wiederaufbau dauerte fast ein Jahr. Foto: Maren Nolte

Foto: Maren Nolte

"Das kann dort schon mal passieren. So streng nimmt es auf Sri Lanka ja niemand mit den Bauvorschriften." Doch er war neugierig geworden, stieg aus dem Pool und ging zur Mauer. Dorthin, wo sonst nur ein paar Palmen den Blick auf das dunkle Grünblau des Indischen Ozeans verstellen. Wo sich sonst das Meer gischtspritzend an dem kleinen Felsabschnitt bricht, auf dem das Hotel steht. "Aber das Meer war weg."

Es war der vielleicht surrealste Moment an diesem 26. Dezember 2004, als ein Tsunami nie zuvor gekannten Ausmaßes Südostasien überrollte. Es schien, als wolle das Meer nach der ersten Flutwelle noch einmal tief Luft holen, um dann nur umso brutaler wieder zuzuschlagen. "Es sah aus, als sei Ebbe, wie an der Nordsee", sagt Kiefer. Doch es war keine Ebbe. "Es war der Tsunami. Nur wussten wir das da noch nicht."

Auch nicht, wie viel Glück er hatte. "Eigentlich wollten wir ja schwimmen gehen. So wie jeden Morgen. Warum wir es an diesem Tag nicht gemacht haben, weiß ich gar nicht", sagt Kiefer. Es hat sein Leben gerettet. "Hätte das Hotel nicht auf diesem Felsen gestanden, wären wir wohl tot."

Urlaub hatte er machen wollen. Seine damalige Partnerin hatte ihn zu einer Ayurveda-Kur in dem kleinen Hotel in der Provinz Weligama überredet. Nun stand er da, auf der kleinen Anhöhe und hatte nur mit Glück eine der schlimmsten Naturkatastrophen der Menschheitsgeschichte überlebt. Beinahe wäre er nur ein weiteres von 230 000 Opfern gewesen, darunter 539 Deutsche.

Doch der Schrecken war noch nicht überstanden. "Dann kam das Wasser zurück. Innerhalb von fünf Minuten war die nächste Welle da, ist gegen die Felswand geknallt und gut zehn Meter hoch gespritzt. Ein paar Minuten später hörten wir in den Nachrichten, dass es ein Tsunami war."

Kiefer machte sich auf den Weg Richtung Dorf. Von Weitem schon sah er eingestürzte Häuser und Autos, von den Wassermassen wie Spielzeug verschoben. Weiter kam er aber nicht. Der Weg war versperrt. "Ich bin dann über das Gelände gelaufen. Da gab es eine kleine Ecke, in der man Handy-Empfang hatte. Binnen Minuten hatte ich 59 SMS aus der Heimat." Der erste Anruf kam von seinem Bruder. "Der hat nur gefragt: ‚Lebst du noch?' Da habe ich eine erste Vorstellung davon bekommen, was da wirklich los war."

Langsam kamen auch erste Meldungen aus dem nahe gelegenen Dorf. Alleine 600 Menschen hatte der Tsunami hier im Süden Sri Lankas mitgerissen. Die meisten Überlebenden hatten sich aus Angst, das Wasser könne zurückkommen, in ein Kloster in den Bergen gerettet.

Kurz überlegte Kiefer, abzureisen, doch er und die anderen Gäste saßen fest. "Am Flughafen waren schon 5000 Menschen, das war aussichtslos." Stattdessen blieben sie im Hotel. Vorräte gab es genug. Genug sogar, um die Überlebenden im Kloster durchzufüttern. "Das war unglaublich. Das Hotel war nicht groß. Aber die Angestellten haben jeden Tag drei Mal 1500 Essen für die Gäste und die Menschen im Kloster gekocht. Es war nicht viel, aber immerhin Reis und Gemüse." Kiefer blieb noch zehn weitere Tage - auch um zu helfen.

Schnell stand für ihn fest, dass er etwas tun müsse. Und er war nicht allein. Binnen kurzer Zeit sammelten alleine die Hotelgäste 10 000 Euro. Doch Kiefer wollte mehr tun. Mit dem Saarbrücker Kiwanis-Club, einer Wohltätigkeitsorganisation, die sich für die Belange von Kindern einsetzt, sammelte er 40 000 Euro für den Wiederaufbau der Schule in Weligama. Die Hilfsaktion des Saarländischen Rundfunks verdoppelte den Betrag.

Doch Kiefer hatte Sorgen, dass das Geld in undurchsichtigen Kanälen versickern könnte. "Da gab es unheimlich viel Korruption, gerade bei den Hilfsgeldern." Und so ließ er auch seine Kontakte in die Baubranche spielen und vermittelte die junge Architektin Maren Nolte nach Sri Lanka . Fünf Monate blieb sie dort und leitete den Aufbau, kümmerte sich um Bauleitung, Materialbeschaffung und Koordination aller Arbeiten. Sechs weitere Monate später wurde die Schule für 400 Kinder eingeweiht. Auch Kiefer kam zu der Feier. Doch auch wenn die sichtbaren Spuren des Tsunami irgendwann beseitigt waren, so blieb die Erinnerung an den Schrecken. "Viele waren auch nach Jahren noch traumatisiert. Das alles ging auch an mir nicht spurlos vorbei. Wir hatten einfach nur Glück."

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