„Über uns fliegen mehr Kampfjets als Vögel“

Kairo · Die tagelangen Angriffe auf Krankenhäuser in Aleppo haben die medizinische Infrastruktur in der syrischen Großstadt lahmgelegt. Beobachter sprechen von Bombardements, wie es sie in diesem Krieg noch nie gab.

"Der Tag des Jüngsten Gerichts ist angebrochen. Über uns fliegen mehr Kampfjets als Vögel ." So beschreibt ein Lehrer im belagerten Ost-Aleppo die Todesängste der 250 000 Zivilisten in der einst größten Metropole Syriens. Bewohner zählten mehr als 900 Luftangriffe an einem einzigen Tag. Seit Russland und das von ihm unterstützte Assad-Regime am Dienstag eine dreiwöchige Kampfpause beendeten prasseln Bomben und Granaten auf Rebellen und zivile Ziele in nie da gewesener Intensität nieder. Die Regierungstruppen hätten den Osten der Stadt mit Luftangriffen, Fassbomben und Artilleriefeuer attackiert, berichtete die Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Samstag sind mindestens 27 Menschen getötet worden, darunter mehrere Kinder.

Die syrischen Weißhelme sprachen von einem "katastrophalen Tag mit einem beispiellosen Bombardement mit allen Waffenarten". Den Menschen bliebe nur die Hoffnung auf den Tod. Nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vom Samstag wurden auch mehrere Krankenhäuser in Ost-Aleppo bei den Angriffen der Regierungstruppen direkt getroffen. Unter ihnen sei auch die einzige Kinderklinik in dem von Rebellen kontrollierten Gebiet der Stadt gewesen, die die Arbeit habe einstellen müssen. Auch die Notvorräte gehen zur Neige. Das Aushungern, Assads bereits in anderen Rebellengebieten erfolgreich angewandte Strategie, hat begonnen. Assad und Russlands Präsident Putin nutzen die Wahlturbulenzen in den USA, um in Syrien neue strategische Fakten zu schaffen, den Spielraum Trumps einzuengen, wenn er im Januar die Macht übernimmt. Ziel des Diktators ist die Eroberung des von etwa 4000 Rebellen der "Jabhat Fatah al Sham" (ehemals Al-Qaida-Ableger Al-Nusra) kontrollierten Stadtteils. Das würde Assads Position stärken, den Krieg allerdings keineswegs beenden. Da sich weder die Rebellen ergeben, noch die Zivilbevölkerung Russlands Angebot eines humanitären Korridors annehmen will, setzt Assad auf die volle Zerstörung dieses Stadtteils. Zugleich versucht Putin, sich von solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu distanzieren, und betont, seine Truppen würden, wie in den vergangenen drei Wochen, Ost-Aleppo schonen. Denn die Beteiligung an Massenmorden unter der Zivilbevölkerung Ost-Aleppos würde jede Aussicht auf eine gemeinsame Suche mit den USA nach einem Ende des Blutvergießens zunichte machen.

Umso massiver schlagen russische Bomben und Marschflugkörper in Idlib und Homs ein, in Regionen, die von der gerade erneut von den USA als Terror-Organisation eingestuften Nusra kontrolliert werden. Trumps Ankündigung, er wolle dem Kampf gegen die Terrormiliz des "Islamischen Staates" (IS) und andere radikale Islamistengruppen höchste Priorität einräumen und dabei mit Russland koordinieren, hat den Kremlherrn wohl bestärkt, den Widerstand der Rebellen endgültig zu brechen. Zunächst hoffte Putin wohl auf den Plan des UN-Syrienbeauftragten Staffan de Mistura, der den bewaffneten Rebellen einen unter UN-Aufsicht durchgeführten Auszug aus Ost-Aleppo anbietet, um die Stadt vor einer gigantischen Katastrophe zu retten. Das lehnte Damaskus aber ab.

Ein Jahr, nachdem Russland durch seine Militärintervention Assad vor dem Untergang gerettet hat, wächst durch die Wahl Trumps die Hoffnung des Diktators auf sein politisches Überleben wie kaum zuvor. Euphorisch nennt Assad den neu gewählten Präsidenten seinen "natürlichen Verbündeten", sollte Trump sein Versprechen wahr machen und sich im Syrienkrieg ausschließlich dem Kampf gegen Terroristen (worunter Assad alle seine Gegner versteht) widmen. Putins Syrien-Strategie lässt so manche Fragen offen. Wochenlang hatte sich der Kreml im Dialog mit Washington um einen Waffenstillstand und einen gemeinsamen Kampf zur Beendigung des Krieges bemüht - ein Ziel, das Hardliner im Pentagon blockierten. Schließlich vollzog Putin eine Kehrtwende, die sein UN-Vertreter mit den Worten begründete: Angesichts von "Hunderten bewaffneter Gruppen" in Syrien sei es "fast unmöglich" Frieden zu erreichen.

Geopolitisch gesehen aber laufen die Dinge voll in Putins Sinn. Hier ist das Ziel klar: Ende der "Pax Americana", Absicherung des einzigen russischen Militärstützpunktes im Mittleren Osten, wo die USA in fast jedem Land strategische Stützpunkte unterhalten; Aufbau Syriens zu einer säkularen Bastion gegen den auch Russland gefährdenden islamischen Extremismus. Für dieses Ziel starben allein durch russische Bomben laut der "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" bisher 10 000 Syrer, etwa 4000 davon Zivilisten.Die syrische Regierung hat einem Vorschlag der UN eine Absage erteilt, dem Ostteil Aleppos im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung Autonomie zu gewähren. Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura habe bei seinem Besuch in Damaskus eine solche "Autonomieverwaltung" angesprochen, sagte gestern der syrische Außenminister Walid Muallem. "Wir sagten ihm, dass wir das vollständig ablehnen." Muallem sagte, die Regierung bestehe darauf, dass "Terroristen den Osten Aleppos verlassen". Damaskus verwendet den Begriff "Terroristen " unterschiedslos für Aufständische und Dschihadisten. De Mistura hatte angeregt, dschihadistische Kampfeinheiten sollten Ost-Aleppo verlassen, die syrische Regierung könne dann eine Autonomieverwaltung der gemäßigten Opposition über diesen Teil der Stadt akzeptieren. De Mistura warnte, dass "die Zeit für Ost-Aleppo ausläuft". Ost-Aleppo drohe bis Weihnachten völlig zerstört zu werden - "und 200 000 Menschen könnten sich auf die Flucht in die Türkei machen, was eine humanitäre Katastrophe wäre".

Meinung:

Dialog statt Waffen

Von SZ-Mitarbeiterin Birgit Cerha

Es ist die militärische Unterstützung von außen, die diesen Krieg zu einer einzigartigen humanitären Katastrophe eskalieren ließ. Jede weitere Waffenhilfe kann die Qualen für die Zivilbevölkerung nur noch verlängern - ohne Aussicht auf ein Ende. Was kann Europa tun? Sanktionen gegen Russland zur Verhinderung weiterer Kriegsverbrechen, werden ihr Ziel verfehlen. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Nur eine Verständigung, die gemeinsame Suche nach Dialog und einer Friedenslösung, für die Putin durch seinen Einfluss auf Assad den stärksten Hebel besitzt, könnte den Syrern Hoffnung bringen. Europa kommt dabei eine wichtige Vermittlerrolle zu. Auch dem Kreml muss klar sein, dass ein militärischer Triumph Assads über seine Gegner ein Pyrrhussieg wäre, der dem Land noch mehr blutige Katastrophen beschert.

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