Über Fehler, Versäumnisse und einen neuen Aufbruch
Brüssel/Maastricht · Bundespräsident Gauck geht am 25. Jahrestag des Maastrichter Vertrages mit der EU hart ins Gericht.
Für Joachim Gauck war es die wohl letzte Gelegenheit, sein Erbe zu hinterlassen. Als der Bundespräsident gestern im niederländischen Maastricht an das Rednerpult der dortigen Universität trat, hatte er vor allem Studenten vor sich, keine Politiker oder EU-Funktionäre. Gerade deswegen nutzte das Staatsoberhaupt wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit die Gelegenheit, um über europäische Fehler, Versäumnisse und einen neuen Aufbruch zu sprechen. Es ist "die wachsende Entfremdung zwischen politischen Eliten und Bevölkerung", die ihn umtreibt. Eine Politik, bei der "viele Menschen das Gefühl hatten, dass das Einigungswerk hinter ihrem Rücken vorangetrieben worden war. Und dass ihnen das, was nun vorgelegt wurde, eigentlich zu weit ging".
Gauck wagte eine fast schon schonungslose Abrechnung mit "verantwortlichen Politikern auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene, die Fehler gemacht haben". Haushaltsregeln seien nicht eingehalten worden. Am Dubliner Asylsystem habe man "zu lange festgehalten, obwohl die Schwächen bekannt waren." Gauck: "Probleme wurden verschleppt." Bis heute sei die Währungsunion, die vor 25 Jahren von den damals zwölf Staats- und Regierungschefs beschlossen worden war, "nicht hinreichend stabil". Europa stehe an einer "Weggabelung". Der "heilsame Schock" müsse dazu führen, dass die Bürger "wieder für das streiten, was ihnen selbstverständlich erscheint: für die repräsentative Demokratie. Für die Herrschaft des Rechts." Es sei deshalb auch "an der Zeit, dass die europäischen Staaten und besonders auch Deutschland, die sich lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet hatten, selbstbewusster und selbstständiger werden".
Zu Recht werde über die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft diskutiert. Denn "wir dürfen die Werte, auf denen das europäische Projekt beruht, nicht preisgeben." Gleichzeitig müsse man "intelligente Lösungen" suchen, mit denen den Unterschieden in der Gemeinschaft ebenso wie den neuen Herausforderungen Rechnung getragen werde. "Mischen Sie sich ein", tief der Bundespräsident den Studenten aus vielen europäischen Ländern zu. "Geben Sie Ihre Zukunft nicht aus der Hand. Engagieren Sie sich gerade jetzt für die Idee eines geeinten Europa. Die Union sei ein "Werkstück, an dem wir dauernd arbeiten müssen". Gaucks eindrucksvoller Schlussappell: "Lassen Sie uns Europa wieder stärker zu unserer Sache machen, zur Sache der Bürgerinnen und Bürger." Dass einige nach der Ansprache in Anlehnung an den 25. Jahrestag des europäischen Vertrages, der mit der niederländischen Stadt eng verbunden bleibt, von einem "Signal von Maastricht" sprachen, dürfte Gauck gefreut haben.