Türkei billigt Erdogans Präsidialsystem

Ankara · Das türkische Parlament hat den Weg für einen Machtzuwachs von Staatschef Recep Tayyip Erdogan bereitet. Die Abgeordneten stimmten am Wochenende mit der nötigen Dreifünftelmehrheit für die von Erdogan angestrebte Verfassungsreform für ein Präsidialsystem und damit für eine Schwächung des Parlaments. In Kraft treten können die Änderungen allerdings erst, wenn das Volk in einem Referendum wohl Ende März zustimmt. Geschieht das, wäre Erdogan, sollte er bei den nächsten Wahlen gewinnen, zugleich Staats- und Regierungschef und könnte weitgehend per Dekret regieren.

Die Regierung und Erdogan feierten die Zustimmung. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu sprach dagegen von einer "Katastrophe" und kündigte einen entschlossenen Kampf gegen die Reform an. Für das von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP eingebrachte Reformpaket mit 18 Artikeln stimmten 339 Abgeordnete, 142 waren dagegen. Die notwendige Mehrheit von über 330 Stimmen wurde auch mit Hilfe von Abgeordneten aus der ultranationalistischen Oppositionspartei MHP erzielt.

Meinung:

Europas taktisches Schweigen

Von SZ-Mitarbeiterin Susanne Güsten

Präsident Erdogan steuert mit Volldampf auf die Verwirklichung seines großen Plans zu: vom Volk abgesegnete absolutistische Vollmachten für sich. Die widersprechen natürlich europäischen Grundsätzen von Demokratie und Gewaltenteilung. Doch die Kritik aus der EU bleibt verhalten - und das hat gute Gründe. Seit einem Jahr erfüllt Erdogan seine Zusagen in der Flüchtlingspolitik und verhindert so eine neue ungesteuerte Massenwanderung nach Westeuropa. Außerdem steht er für einigermaßen stabile Verhältnisse im Land. Sollte Erdogan abgelöst werden, wäre in der Türkei kein Politiker in Sicht, der den Staat verlässlich steuern könnte. Diese Art von realpolitischen Überlegungen sind nur schwer mit demokratischen Idealen der EU in Einklang zu bringen. Die Alternative wäre ein ernsthaftes Einwirken der EU auf Erdogan und die Türkei. Und daran ist derzeit keine Regierung interessiert.

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