Kinderhilfe Saar Tue Gutes – und rede endlich auch darüber

Fremersdorf · Nicht nur Adel, auch Charakter verpflichtet: Margarita von Boch ist Gründerin und Vorsitzende der Kinderhilfe Saar – und würde am liebsten unsichtbar bleiben. Nun gibt sie ihrem Engagement ein Gesicht.

 Gesundes Frühstück für bedürftige Kinder: Margarita von Boch (2.v.l.) an der Kirchbergschule in Malstatt. Foto: Maurer

Gesundes Frühstück für bedürftige Kinder: Margarita von Boch (2.v.l.) an der Kirchbergschule in Malstatt. Foto: Maurer

Foto: Maurer

Ein bisschen märchenhaft klingt es schon. 2010 klingelte bei Margarita von Boch (64) das Telefon. Johann Schellenbach war dran: Ob sie an sein Krankenbett kommen könne? Er habe von ihrer Kinderhilfe gehört, und wolle ihr "was Kleines" vermachen. Margarita von Boch hatte als jungverheiratete Frau in Schellenbachs Edeka-Laden eingekauft, unten im Dorf, wo das Anwesen der von Bochs liegt, das "Fremersdorfer Schlösschen". Als Schellenbach sie rief, war das Geschäft bereits seit Jahrzehnten geschlossen. "Erst bei der Testamentseröffnung 2011 erfuhr ich, wie viel Geld das war", sagt Margarita von Boch und will die Summe nicht präzisieren. Jedenfalls war es eine sehr hohe sechsstellige Summe.

Schellenbach habe sich "nie etwas gegönnt", deshalb fühlte sich Margarita von Boch umso mehr verpflichtet, etwas Besonderes mit dem Geld zu tun. Das Kultusministerium vermittelte ihr den Kontakt zum Kibiz, dem Malstatter Kinderbildungszentrum der Diakonie. Und seit dieser Zeit ist Margarita von Boch geradezu beseelt von der dort geleisteten Arbeit: "Bildung ist der Weg aus der Armut", betont sie mehrfach.

Derzeit noch lebt ihr Verein zu einem Gutteil von Schellenbachs Erbschaft. Doch weil die kontinuierlich schrumpft und auch die Spenden zurückgehen, muss Margarita von Boch zur Zukunftssicherung ihrer Kinderhilfe nun etwas tun, was sie viel Überwindung kostet. Sie muss in die Öffentlichkeit, raus aus der Diskretion. Über zwei Jahrzehnte hat sie es geschafft, als Gründerin und Vorsitzende der Kinderhilfe Saar nahezu unsichtbar zu bleiben, auch auf der Homepage fehlt ihr Foto. Alle lief nach dem Motto: Tue Gutes und rede nicht drüber. Der Grund? "Ich will mich nicht aufspielen, das liegt mir nicht."

Als Teil einer Adels-Dynastie - der Mettlacher Unternehmerfamilie Villeroy & Boch - definiert und wahrgenommen zu werden, ist ihr "peinlich". Zugleich respektiert sie, dass andere Familienmitglieder gerne in der Öffentlichkeit stehen. "Jeder hat seine Rolle, wir haben einen sehr guten Familienzusammenhalt." Seit 40 Jahren ist die in Argentinien aufgewachsene "Freiin (Freifrau) Rukavina von Vidovgrad" mit Eugen von Boch verheiratet, der früher in der Mettlacher Unternehmensführung tätig war. Margarita von Boch lernte ihren Mann 1973 während ihres Dolmetscherstudiums in München kennen. Folgte dann ein Leben als Schlossherrin in Saus und Braus? "Wir haben ein großes Anwesen. Mein Mann ist Landwirt. Er sitzt auf dem Traktor", erwidert Margarita von Boch. Sie kümmere sich um den Haushalt und vier Enkel - und habe ein Ehrenamt, wie so viele andere Bürger. Nur kein Aufhebens, bitte.

Wir treffen uns in der zünftigen St. Arnualer "Tabaksmühle". Margarita von Boch - eine aparte, feine Erscheinung - berichtet mit Begeisterung und Bewunderung von der Arbeit des Teams im Kibiz. Dort, wo rund 80 Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien stammen, ermöglicht die Kinderhilfe unter anderem bis zu 30 Kindern vor der ersten Schulstunde ein "Frühes Frühstück". "Wenn Kinder hungrig sind, können sie nicht denken", sagt Margarita von Boch. Kein kritisches Wort verliert sie über die Eltern, die die Kinder unversorgt lassen: "Die sind überfordert", sagt sie. "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV, das können wir doch für die Kinder nicht zulassen."

Wie weit ist wohl der Weg vom Fremersdorfer Schlösschen in die Brennpunkt-Schule? "Ich bin selbst ein Kind von Flüchtlingen", antwortet Margarita von Boch. Ihre Eltern flohen vor den Kommunisten aus Kroatien. "Als wir in Argentinien waren, wusste ich gar nicht, was Adel ist." Das Gespräch darüber ist ihr unangenehm.

Woher kommt ihre Motivation? "Wir Gutgestellten haben die Pflicht zu helfen. Das klingt vielleicht hochgeschraubt, aber ich empfinde es so." Doch auch Persönliches spielt mit. 1992 brachte sie als Spätgebärende eine Nachzüglerin, ihre Tochter, zur Welt: "Ich war so glücklich über das gesunde Kind. Ich wollte und möchte etwas zurückgeben." Sie beobachtet, dass immer mehr Kinder verwahrlost, allein, in Not sind. Selbst im Dorf nehme das zu: "Es gibt kein Auffangen mehr in der Gemeinschaft. Im Gegensatz dazu hatte ich immer Menschen, die mich unterstützten."

Täglich verbringt Margarita von Boch, wie sie erzählt, bis zu zwei Stunden mit der Kinderhilfe-Arbeit, führt Telefonate, schreibt Spendenbescheinigungen, verfasst in diesen Tagen den Weihnachtsbrief. Oder sie kämpft bei Klinikleitungen um finanzielle Unterstützung für die Klinikclowns, die die Kinderhilfe als Neuerung ins Saarland brachte. Die Clowns sind so nachgefragt, dass sie den Verein rund 50 000 Euro im Jahr kosten, etwa das, was an Spenden reinkommt. Auch in der eigenen Familie wird an Geburtstagen gesammelt. Doch weil ein zweiter Glücksfall wie das Schellenbach-Vermögen unwahrscheinlich ist, macht sich Margarita von Boch Sorgen. Die Projekte am Kibiz will sie auf gar keinen Fall zurückfahren, in der Saarbrücker Füllengartenschule sollen weitere wachsen.

Als "Herzenswunsch" nennt sie das Fortbestehen der Kinderhilfe. Mehr braucht sie nicht zum Zufriedensein? Wie definiert sie den Begriff Luxus ? "Mein ganzes Leben ist doch Luxus !", erwidert Margarita von Boch so schnell und bestimmt, dass sich jeder Zweifel in Nichts auflöst, hier inszeniere jemand Bescheidenheit. "Im Alter lernt man tiefe Dankbarkeit. Ich führe eine gute Ehe, habe drei gesunde Töchter und Enkel. Wir sind auf der Sonnenseite des Lebens. Andere nicht."

Zum Thema:
Die Kinderhilfe e. V. Saar besteht seit 1999 und hilft Kindern, die medizinische, psychologische oder soziale Hilfe brauchen. Der Verein steht dafür ein, dass alle Gelder ohne Verwaltungskosten den Kindern zu Gute kommen. Die Kinderhilfe wurde hauptsächlich durch die Klinikclowns bekannt, die kranke Kinder aufheitern. Sie leistet aber auch Einzelfallhilfe, unterstützt Ferienfreizeiten für Kinder in Notlagen oder bezahlt Musikunterricht für Grundschüler. Der Verein hat 30 Mitglieder, der Beitrag kostet drei Euro monatlich. ceTel. (0 68 61) 36 15. www. kinderhilfe-saar.de

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