Tsipras setzt auf deutsche Kriegsschuld

Athen · Im griechischen Schuldendrama tickt die Uhr. Die Regierung in Athen hat das internationale Rettungsprogramm für beendet erklärt. Regierungschef Tsipras will nicht nur die Reichen im Land zur Kasse bitten – auch Deutschland soll zahlen. Dabei geht es um Zwangsanleihen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Würde des Volkes hat Priorität, danach kommt alles andere. Das war die Botschaft des neuen griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras in seiner Regierungserklärung am Sonntagabend. Die Rettungsprogramme haben versagt, sagt er, jetzt müsse es Maßnahmen geben, damit der kleine Mann wieder auf die Beine kommt. Maßnahmen, bei denen offensichtlich auch Deutschland eine entscheidende Rolle zukommen soll: Die Bundesrepublik, so fordert Tsipras, soll Kriegsschulden des Hitler-Regimes in Höhe von - nach griechischer Rechnung - elf Milliarden Euro begleichen. Eine Retourkutsche vielleicht auch für die Weigerung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU ), auf Griechenlands Wunsch einer Überbrückungsfinanzierung einzugehen? In jedem Fall ist Tsipras nicht der erste Grieche, der auf Milliarden-Reparationen pocht. Erst im März vergangenen Jahres sah sich Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Staatsbesuch in Athen solchen Forderungen ausgesetzt. Damals war es Staatspräsident Karolos Papoulias , der bei einem Auftritt mit Gauck verlangte, Verhandlungen über Entschädigungen so schnell wie möglich zu beginnen.

Gauck wies die Forderung ab mit der Begründung, der Rechtsweg dazu sei abgeschlossen. Ähnlich reagierte gestern Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ): Die Frage der Reparationen sei im Zuge der Verhandlungen zur deutschen Einheit fast komplett und abschließend geregelt worden. Hintergrund der griechischen Forderung ist ein Zwangskredit über 476 Millionen Reichsmark, den die Nazis 1942 von der griechischen Notenbank erhoben. Dessen Rückzahlung war zwar vertraglich vereinbart worden, doch die Gelder bekam Griechenland bis heute nicht. Von Reparationszahlungen fast 70 Jahre nach dem Krieg will die Bundesregierung aber nichts wissen. Nach Jahrzehnten "friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit" zwischen Deutschland und Griechenland habe "die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren", hieß es bereits vor einiger Zeit in einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Die Bundesrepublik habe nach dem Krieg ein "umfangreiches System von Wiedergutmachungsregeln" geschaffen, von dem auch Griechenland profitiert habe. So verteilte etwa die internationale Reparationsagentur nach Kriegsende in Deutschland beschlagnahmte Maschinen und Waren auch an Griechenland. Zudem schloss die Bundesrepublik mit Athen 1960 einen Vertrag zur laut Ministerium "abschließenden" Wiedergutmachung von NS-Unrecht und zahlte 115 Millionen Mark.

Die grundlegende Regelung deutsche Reparationszahlungen sollte nach einem Beschluss der Londoner Schuldenkonferenz von 1953 zwar der Zeit nach einem Friedensabkommen vorbehalten bleiben, doch solch einen formellen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht. An dessen Stelle trat aber laut Bundesregierung 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung zwischen den beiden deutschen Staaten sowie den vier einstigen Alliierten. Dieser Vertrag gilt Staatsrechtlern zufolge wegen seiner Formulierungen wie ein Friedensvertrag in politischer und rechtlicher Hinsicht und ist auch für dritte Staaten verbindlich. In einer Stellungnahme des Finanzministeriums von 2003 heißt es zu dem Vertrag, die Bundesregierung habe ihn "in dem Verständnis abgeschlossen, dass damit auch die Reparationsfrage endgültig erledigt ist. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag sieht keine weiteren Reparationen vor". Doch Deutschland könnte gleichwohl noch in der Pflicht sein: Nach griechischer Sicht ist rechtlich ungeklärt, ob die Zwangsanleihe überhaupt unter das Kapitel Reparation fällt oder zivilrechtlich nicht vielmehr als Kredit betrachtet werden muss. Schließlich sei die Rückzahlung der Zwangsanleihe damals vertraglich zugesichert worden. Doch um das zu klären, müsste Athen gegen Deutschland vor Gericht ziehen - und mit erbittertem Widerstand der Bundesregierung rechnen.

Hinterbliebene aus Griechenland versuchten bereits gerichtlich vorzugehen. 2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen des Massakers in Distomo 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Auffassung und nahm 2006 eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.

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Am RandeGriechenlands Regierungschef Tsipras will die Steuerhinterziehung und Korruption unerbittlich bekämpfen und so sein Volksentlastungsprogramm finanzieren. Wer ein großes Vermögen hat, soll mehr Steuern zahlen. Genauere Angaben dazu machte Tsipras nicht. Nur soviel: Die Reichen sollen zur Kasse gebeten werden. Allerdings waren schon alle Vorgängerregierungen damit kläglich gescheitert. Privatisierungen sollen nur stattfinden, wenn sie nützlich sind und nicht wie bislang "im Stil Schlussverkauf". Der Mindestlohn soll stufenweise von 586 Euro auf 751 Euro angehoben werden. Die Renten sollen nicht mehr gesenkt werden - wer weniger als 700 Euro bekommt, soll sogar jeden Dezember eine dreizehnte Rente erhalten. dpa

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