Tricksen und Pokern bei Hartz IVWelche Leistungen bekäme eine Familie mit einem Kind nach dem neuen Gesetz?

Berlin. Die erste Hürde hat der umstrittene Gesetzentwurf zur Reform der Hartz-IV-Regelsätze samt Bildungspaket für die Kinder genommen. Das Bundeskabinett billigte gestern die entsprechende Vorlage. Doch das war noch die leichteste Übung

Berlin. Die erste Hürde hat der umstrittene Gesetzentwurf zur Reform der Hartz-IV-Regelsätze samt Bildungspaket für die Kinder genommen. Das Bundeskabinett billigte gestern die entsprechende Vorlage. Doch das war noch die leichteste Übung. In den kommenden Wochen steht der Regierung ein schwieriges parlamentarisches Verfahren ins Haus, bei dem nach Kräften gepokert und getrickst werden dürfte. Denn mit der schwarz-gelben Mehrheit in der Länderkammer ist es seit dem rot-grünen Wechsel in Nordrhein-Westfalen vorbei. Den Bundesrat aber braucht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, um die Korrekturen, wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt, am 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen. "Diese enge Frist nimmt uns alle in die Verantwortung", mahnte die CDU-Politikerin dann auch gestern in Richtung Opposition.

Ministerin kompromissbereit

Nach jetzigem Stand wird sich der Bundestag in der kommenden Woche erstmals mit dem Entwurf befassen. Die Verabschiedung ist für den 3. Dezember vorgesehen. Der Bundesrat kann daher erst am 17. Dezember auf seiner letzten regulären Sitzung in diesem Jahr darüber befinden. In Bundesratskreisen geht man bislang davon aus, dass wegen unüberbrückbarer Meinungsunterscheide zunächst der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Der 1. Januar als Termin wäre damit beerdigt.

Ein solches Szenario sucht von der Leyen mit allen politischen Mitteln zu verhindern. So kündigte sie gestern eine Art informellen Vermittlungsausschuss an, der parallel zum parlamentarischen Verfahren schon in Kürze maßgebliche Oppositionskräfte versammeln soll, um in schöner Gemeinsamkeit "die großen Felsbrocken aus dem Weg zu räumen". Einige Vorarbeiten hat die Ministerin bereits geleistet. An der geplanten Mini-Erhöhung des Erwachsenen-Regelsatzes von 359 auf 364 Euro will sie zwar nicht rütteln. Dafür kommt die Christdemokratin der SPD beim Bildungspaket entgegen. Anders als im ursprünglichen Entwurf sollen nun auch jene Kinder von Zuschüssen für Schulmaterial und kostenlosen Freizeitangeboten profitieren, deren Eltern den Kinderzuschlag beziehen und dadurch nicht auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Auch bei ihrem Lieblingsprojekt, der Bildungschipkarte, zeigte sich die Ministerin kompromissbereit. Neben einer Abrechnung über Gutscheine sollen die Jobcenter zum Beispiel die Kosten für eine Mitgliedschaft im Sportverein auch direkt dorthin überweisen können. Letzteres ist zugleich ein Friedenssignal an die CSU, die sich grundsätzlich an der Bildungschipkarte stört.

Letzter Ausweg Schmiergeld?

Ein weiteres Entgegenkommen deutet sich bei der SPD-Forderung an, die neuen Hartz-Regelungen nur zu akzeptieren, wenn gleichzeitig ein Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche eingeführt wird. Tariflich ist der Mindestlohn bereits unter Dach und Fach. Die Regierung muss ihn nur noch für allgemeinverbindlich erklären, was trotz des Unbehagens der FDP gelingen dürfte. Schließlich trommeln sogar die Arbeitgeber für eine einheitliche Lohnuntergrenze in dieser Branche. Allerdings will man im Koalitionslager die Themen Hartz IV und Mindestlohn streng getrennt verhandeln, um nicht den Eindruck eines Deals zu erwecken.

Sollte eine Einigung am 17. Dezember in der Länderkammer trotzdem gefährdet sein, könnte Schwarz-Gelb noch das eine oder andere Land aus der Ablehnungsfront "herauskaufen". So war das schon in den 1990er Jahren, als die Regierung unter Helmut Kohl (CDU) das Land Brandenburg mit finanziellen Zuwendungen köderte, um eine Mehrwertsteuererhöhung durchzusetzen. Auch Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nutzte dieses Schmiermittel gegen Bundesrats-Blockaden. Möglich wäre auch, die geplante Aufstockung des Regelsatzes ohne Bundesratsbeschluss zum 1. Januar in Kraft zu setzen. Dann bekämen die vom Bund bezahlten Hartz-IV-Empfänger fünf Euro mehr - aber sämtliche Sozialhilfeempfänger gingen leer aus. Denn für deren Stütze in gleicher Höhe kommen die Kommunen auf. Eine solche Entwicklung brächte die Opposition politisch in Verlegenheit. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat deshalb bereits vorgebaut. In einem Interview erklärte er gestern: "Wir sind gerne bereit, eine Vorgriffsreglung zu vereinbaren, mit der die Betroffenen ab dem 1. Januar schon mal einen Abschlag erhalten."Berlin. Ein Paar mit einem Kind von acht Jahren: Die Erwachsenen erhalten ab Januar 2011 jeweils fünf Euro mehr, der eine 364 Euro pro Monat, der Partner 328 Euro. Das Kind erhält weiterhin 251 Euro.

Das Kind bekommt zusätzlich aus dem Bildungspaket für arme Kinder Gutscheine im Wert von zehn Euro pro Monat für Sport, Musik oder Freizeiten, also 120 Euro im Jahr. Zum 1. August erhält es 70 Euro für Schulsachen, zum zweiten Halbjahr weitere 30 Euro. Dieses Geld bekommt es bisher auch schon, allerdings als Einmalzahlung von 100 Euro zum Schuljahresanfang. Bietet die Schule ein warmes Mittagessen an, an dem das Kind teilnehmen will, muss die Familie einen Euro selbst bezahlen, den Rest finanziert das Jobcenter. Für Wandertage in der Schule gibt es einen Gutschein von 30 Euro im Jahr. Geld für Klassenfahrten muss, wie bisher, extra beantragt werden. Braucht das Kind Nachhilfe, sollen Kosten übernommen werden, es ist aber unklar, in welcher Höhe.

Das Bildungspaket hat für ein Schulkind also mindestens einen Gegenwert von 250 Euro im Jahr, wovon es 100 Euro heute schon bekommt. Hinzu kommen Nachhilfe- und Essenskosten. Ein Kindergartenkind bekäme den Zuschuss zum Mittagessen und, bei Bedarf, 30 Euro im Jahr für Ausflüge.

Bekäme die Familie im Jahr 2011 ein weiteres Kind, stünde sie schlechter da als bisher. Das Elterngeld von 300 Euro im Monat wird ab 2011 ersatzlos gestrichen. Für das Baby bekäme die Familie 215 Euro im Monat.

Je nachdem, wie und wo die Familie wohnt, können sich auch die Leistungen für die Wohnung und Heizung in den nächsten Jahren ändern. Das Gesetz eröffnet Städten und Landkreisen die Möglichkeit, per Satzung Mietobergrenzen zu bestimmen und die Wohnkosten pauschal zu erstatten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Pauschalen die tatsächlichen Wohnkosten der Hartz-IV-Empfänger nicht abdecken. Dann müsste die Familie die Differenz aus dem Regelsatz aufbringen.

Hartz-IV-Empfänger erhalten neben Regelsatz-Leistungen Ermäßigungen bei Gebühren. Das bleibt unverändert. epd

Meinung

Opposition im Zugzwang

Von SZ-Korrespondent

Stefan Vetter

Die SPD will die Hartz-IV-Reform im Bundesrat blockieren. Solche Drohgebärden gehören zum politischen Geschäft. Näher betrachtet ist die Opposition aber gar nicht so stark, wie es ihr Kraftzuwachs in der Länderkammer vermuten lässt. Mit konkreten Nachbesserungsforderungen halten sich die Sozialdemokraten nämlich weitgehend zurück. Aus gutem Grund. Sie wären bei den Wählern nicht gerade populär. Allerdings könnte die Opposition bei der Kostenübernahme für Schulessen kritisieren, dass nur die wenigsten Schulen überhaupt eine warme Mahlzeit anbieten. Lohnend ist auch die Frage, ob die Freizeitmöglichkeiten voll genutzt würden. Die Erfahrungen mancher Anbieter, die schon jetzt für Kinder aus ärmeren Schichten offen sind, sprechen eher dagegen. Hier sollte die Opposition einhaken, anstatt das Gesetz pauschal madig zu machen. Zumal auch sie um die zeitlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weiß. Eine Hängerpartie bei Hartz IV wäre für die gesamte politische Klasse kein Ruhmesblatt.

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