Teures Brot wird zum sozialen Sprengsatz In vielen Ländern wächst die Wut über hohe Preise

Washington. Die dramatischen Szenen waren fast schon vergessen: Knapp drei Jahre ist es her, da beherrschten Plünderungen in Haiti, tödliche Schlägereien um Brot in Ägypten, Proteste von Vietnam bis Bolivien die Schlagzeilen. Rund um den Globus waren explodierende Nahrungsmittelpreise zum gefährlichen sozialen Sprengsatz geworden

Washington. Die dramatischen Szenen waren fast schon vergessen: Knapp drei Jahre ist es her, da beherrschten Plünderungen in Haiti, tödliche Schlägereien um Brot in Ägypten, Proteste von Vietnam bis Bolivien die Schlagzeilen. Rund um den Globus waren explodierende Nahrungsmittelpreise zum gefährlichen sozialen Sprengsatz geworden. Jetzt scheint sich alles zu wiederholen: Die Schauplätze heißen nun Algerien, Tunesien und Jordanien. Droht ein neuer globaler Flächenbrand?

An Warnungen fehlte es nicht. Schon im Oktober hatte die Weltbank ihren Nothilfe-Fonds reaktiviert, den sie als Antwort auf die Krise von 2008 aufgelegt hatte. Auch die UN schlugen Alarm: Der Grundnahrungsmittel-Index der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) kletterte im Dezember auf ein Rekordniveau. "Wir erreichen eine Gefahrenzone", mahnt FAO-Ökonom Adbolreza Abbassian. "Ob Proteste die Folge sein werden oder mehr Hungernde - die Konsequenzen werden erheblich sein", meint auch Richard Henry von der Internationalen Finanz-Corporation (IFC).

Der Preisanstieg ist atemberaubend: Allein in der zweiten Hälfte 2010 schoss der Getreidepreis um 57 Prozent nach oben, der für Öle und Fette um fast genauso viel und der Zuckerpreis gar um 77 Prozent. Asien blieb von Protesten bislang wohl verschont, weil sich der Preis für Reis dem scharfen Aufwärtstrend bislang nicht anschloss. Explodierende Nahrungsmittelkosten treffen immer zuerst und am schwersten die Armen, weil sie einen weit größeren Teil ihres Geldes für Essen ausgeben müssen. Die erschütternde Konsequenz: Hungerten vor der Krise vor drei Jahren weltweit 800 Millionen Menschen, war es danach eine Milliarde, erklärt die Weltbank.

Dass die Welt nun schon wieder an der Schwelle zu einer globalen Nahrungsmittelkrise steht, liegt am teuflischen Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Faktoren. Nach den Worten von Agrarökonom Henry sind die Vorräte an Grundnahrungsmitteln schon seit Anfang des Jahrtausends rückläufig. "Wenn es dann irgendwo einen Ernteausfall gibt, hat das sofort gewaltige Folgen für die Preise." Vor drei Jahren ging die Krise von Australien aus, jetzt von Dürren in Russland, der Ukraine und Osteuropa. Seit 2008 haben sich die Vorräte zwar etwas erholt, aber nicht genug, um Einbußen vom Sommer 2010 abzufedern. Schlimmer noch: Die Fluten in Australien hätten bereits "drastische Auswirkungen" auf die Weizenernte, berichtet Deutsche-Bank-Analystin Claire Schaffnit-Chatterjee. Trockenheit in Südamerika und in den USA könnte die Lage noch verschärfen.

"Die Preise werden von Langzeittrends einer steigenden Nachfrage nach oben getrieben, die dann von kurzfristigen Wettereinflüssen überlagert werden", erläutert Atul Mehta von der IFC. Die Gründe liegen auf der Hand: Bis 2050 soll die Weltbevölkerung die Marke von neun Milliarden erreicht haben. Wachsende Mittelschichten in Riesenländern wie Indien und China können sich mehr Fleisch leisten, was die Nachfrage nach Futtermitteln hochtreibt.

Wegen des Trends zu Biokraftstoffen werden Teile der Maisernten zu Sprit. Spekulanten sorgen zusätzlich für eine Achterbahn-Fahrt der Preise. Und nicht zuletzt: Über Jahrzehnte haben Regierungen wie auch die Privatwirtschaft Investitionen in den Agrarsektor vernachlässigt. Dabei kann Studien zufolge ein Wachstum in der Landwirtschaft Armut dreimal effektiver verringern als Wachstum in anderen Bereichen.

Zwar rechnet die Weltbank noch bis 2015 mit einem scharfen Auf und Ab der Preise. "Es gibt aber Grund für Optimismus", betont IFC-Experte Mehta. Das Rezept: Mehr Agrarfläche müsse her. In Afrika südlich der Sahara und in Lateinamerika sei sie vorhanden. Zudem gelte es, die Produktivität zu erhöhen und unnötige Verluste etwa wegen fehlender Kühlhäuser zu vermeiden. So verrottet in Indien ein Drittel der Ernte, bevor sie die Verbraucher erreicht.

Eine Trendwende ist aus Sicht der IFC aber schon eingeleitet. "Im südlichen Afrika unternehmen eine Reihe von Regierungen konzertierte Aktionen und lassen Geld in die Landwirtschaft fließen, um die richtigen Bedingungen für Investitionen zu schaffen", berichtet Mehta. Die großen Unbekannten seien jedoch die Folgen des Klimawandels sowie die Fragen, ob immer ausreichend Wasser für Felder vorhanden sei und ob der Bedarf an Biosprit noch steige.

Auch Agrarökonom Henry ist zuversichtlich: Vor drei Jahren habe es arge Zweifel gegeben, ob die - wegen aufstrebender Wirtschaftsmächte wie China - wachsende Nachfrage überhaupt befriedigt werden könne. "Inzwischen stimmt man überein, dass die Ressourcen vorhanden sind, sei es Land oder Wasser", sagt er. "Es gibt keinen Zweifel, dass die Welt sich selbst ernähren kann. Es muss sich nur derart viel zusammenfügen, dass es nicht von heute auf morgen passieren wird."Algerien: In dem Nachbarland Tunesiens ist seit 1999 Abdelaziz Bouteflika Präsident. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 250 Euro monatlich. Weil die Preise für einige Nahrungsmittel seit Jahresbeginn um 30 Prozent stiegen, kam es in jüngster Zeit zu gewaltsamen Protesten. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben.

Marokko: An der Spitze der parlamentarischen Monarchie steht seit mehr als elf Jahren König Mohammed VI. Wie auch in anderen arabischen Staaten sorgt der Preisanstieg der teilweise vom Staat subventionierten Lebensmittel für Unmut unter den Bürgern.

Mauretanien: Das Land wird seit einem Militärputsch 2008 von Mohamed Ould Abdel Aziz regiert. Angesichts steigender Preise für Nahrungsmittel wie Zucker, Öl und Milchpulver forderte er seine Regierung auf, das Preisniveau zu senken. Aus Protest gegen die politische Lage gingen vergangene Woche tausende Menschen auf die Straße.

Libyen: Muammar el Gaddafi ist seit 1969 an der Macht. Er bedauerte den Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali. Vor einer Woche hob die Regierung sämtliche Steuern und Zölle auf Lebensmittel auf.

Ägypten: Präsident Husni Mubarak ist seit 1981 an der Macht. Wirtschaftliche Probleme machen der Bevölkerung seit langem zu schaffen. Fast jeder zweite der 80 Millionen Einwohner lebt unter der Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag.

Sudan: Das größte Land des afrikanischen Kontinents steht vor einer Spaltung in einen Nord- und Südteil. Bei Protesten gegen gestiegene Preise kam es vergangene Woche zu Zusammenstößen mit der Polizei. Ein Oppositionsführer wurde festgenommen, vermutlich weil er sagte, ein Aufstand wie in Tunesien sei auch im Sudan "wahrscheinlich".

Syrien: Seit 2000 ist Präsident Baschar el Assad an der Macht. Nach offiziellen Angaben leben 14 Prozent der 22 Millionen Menschen in Armut. Um mittellosen Familien zu helfen, legte die Regierung Anfang der Woche einen millionenschweren Hilfsplan auf.

Jordanien: In dem Königreich unter dem Monarchen Abdullah lebt jeder Vierte unter der Armutsgrenze. Zuletzt gab es friedliche Proteste gegen die Wirtschaftspolitik und die Inflation. Die Demonstranten forderten dabei auch den Rücktritt der Regierung, obgleich diese vergangene Woche 126 Millionen Euro freigegeben hatte, um die Preise zu senken und Arbeitsplätze zu schaffen. afp

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