Tag der Hoffnung

Minsk/Kiew · Tausende sind in der Ostukraine gestorben, Hunderttausende auf der Flucht. Erstmals beschließen Regierung und Separatisten nun eine gemeinsame Waffenruhe. Beginnt jetzt ein Friedensprozess?

In dem von monatelangen Kämpfen zerbombten Bürgerkriegsgebiet Ostukraine können die Bewohner erstmals wieder auf Frieden hoffen. Regierungstruppen und prorussische Separatisten haben sich am Freitag auf eine Feuerpause geeinigt. Erstmals seit Beginn der Kämpfe im April sollen nun auf beiden Seiten die Waffen schweigen.

Ob die am Freitagabend zunächst bestätigte Feuerpause hält, bleibt zwar abzuwarten. Aber zumindest sprechen alle Beteiligten von der bisher größten Chance, von einem möglichen Wendepunkt in dem Konflikt, der als international folgenreichster seit Ende des Kalten Krieges gilt. Ausgerechnet am Rande des Nato-Gipfels im britischen Wales verkündet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den Stopp seiner umstrittenen "Anti-Terror-Operation". Dabei hat die ukrainische Führung zuletzt noch von Waffen und sogar von Soldaten der Nato-Staaten im Kampf gegen die prorussischen Separatisten geträumt - und gegen Russland, das sich in dem Konflikt als "Aggressor" an den Pranger gestellt sieht.

Parallel zum Nato-Gipfel tagte unter Vermittlung der Russen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk die Ostukraine-Kontaktgruppe. Dass sich die Beteiligten dort rasch einigten, die Waffen schweigen zu lassen und zudem Hunderte Gefangene auszutauschen, sorgte auch in Moskau für ein Stimmungshoch. Immerhin warnt Kremlchef Wladimir Putin die ukrainische Führung seit Monaten, der Konflikt sei auf keinen Fall militärisch, sondern nur politisch durch Verhandlungen mit den Separatisten zu lösen. Das hat Poroschenko lange abgelehnt - bis zu seinem jüngsten Telefonat mit Putin am vergangenen Mittwoch. Beide verglichen ihre Friedenspläne und stellten nach Kremlangaben Gemeinsamkeiten fest. Poroschenko musste jedoch auf seine Kernforderung verzichten: die Entwaffnung der Aufständischen. Die Separatisten machten zudem deutlich, dass sie keineswegs von ihren Zielen eines Sonderstatus für die Ost-ukraine abrücken wollen.

Wegen der komplizierten Befehlsstrukturen, auch bei den regierungstreuen Truppen, gilt es als äußerst unsicher, ob die Waffen tatsächlich längerfristig schweigen werden. Die Russen befürchten, dass Privatarmeen der regierungstreuen Oligarchen oder die radikale Kampftruppe des Rechten Sektors querschlagen könnten. Auch bei den Separatisten hört nicht jeder auf das Kommando des Kreml. Zudem haben Regierung und Separatisten stets davor gewarnt, dass Feuerpausen dazu dienen könnten, die Kräfte neu zu ordnen. Und auch an diesem Tag der Hoffnung wollte letztlich niemand ausschließen, dass es am Ende zu einem noch schlimmeren Krieg kommen könnte.

Zum Thema:

HintergrundDas russische Staatsfernsehen hat erstmals sein Schweigen über eine Verwicklung russischer Soldaten in die Kämpfe in der Ostukraine gebrochen. Der staatliche Sender "Perwy Kanal" berichtete am Donnerstagabend über die Beisetzung eines Fallschirmjägers, der sich "offiziell im Urlaub" befunden habe, als er zusammen mit prorussischen Separatisten gegen die ukrainischen Regierungstruppen kämpfte. afp

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