Gloyphosat-Zulassung Tag der Entscheidung für Europas Äcker

Brüssel · Hat das umstrittene Unkrautmittel Glyphosat in der EU eine Zukunft oder nicht? In Brüssel wollen sich die Experten heute festlegen – vielleicht.

 Wie geht es mit dem Unkrautvernichtungsmittel weiter (Symbolfoto)

Wie geht es mit dem Unkrautvernichtungsmittel weiter (Symbolfoto)

Foto: dpa/Patrick Pleul

(SZ/dpa) Glyphosat muss weg. Das Europäische Parlament hat gestern mit klarer Mehrheit entschieden, die Zulassung für das umstrittene Pflanzenschutzmittel über den 15. Dezember hinaus nicht zu verlängern. Doch das bedeutet wenig bis gar nichts. Denn die, die darüber wirklich beschließen, kommen heute in einem Ausschuss der Brüsseler Kommission zusammen: im Ausschuss für Pflanzen-, Tier-, Lebensmittel- und Futtersicherheit. Und der wurde schon öfter vertagt. Gestern ruderte zwar auch die Kommission noch zurück, will nur noch über eine Verlängerung um fünf bis sieben statt zehn Jahre abstimmen lassen. Dennoch. Das heutige Votum ist offen. Mehrfach hatte sich der Ausschuss in den vergangenen Monaten bereits nicht geeinigt. Eine qualifizierte Mehrheit wäre erreicht, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen oder ablehnen. Malta, Italien und Österreich plus möglicherweise Frankreich stehen als Nein-Sager fest. Deutschland wird sich wohl enthalten. Und der Rest? Unklar.

Gemäß aktueller Rechtslage müsste die Kommission selbst entscheiden, wenn es wieder keine Einigung gibt. Doch die weigert sich, dass man ihr den Schwarzen Peter zuschiebt. Erlösung könnte ausgerechnet aus Deutschland kommen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), der eigentlich für Glyphosat eintritt, aber angesichts eines Veto von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nichts machen kann, propagiert nun einen Plan B: Keine weitere Verlängerung um zehn Jahre, sondern nur bis zum 15. Dezember 2022. In dieser Zeit sollen neue wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt werden. Sollten die den Krebsverdacht belegen, habe die Kommission das Recht, den Einsatz sofort zu stoppen.

Doch der Kompromiss ist nichts anderes als der Versuch, sich Zeit zu kaufen. Glyphosat wurde in den 70er Jahren von dem US-Hersteller Monsanto auf den Markt gebracht. Ein regelrechtes Wundermittel in den Augen der meisten Landwirte, weil es Gräser und Unkraute vorbeugend vernichtet, Mais, Raps oder Weizen aber schont. Ergebnis: Die Bauern sparen Zeit und Geld, weil sie ihre Felder nicht mehr umpflügen müssen. Die Wende folgt erst 2015. Da durchbrechen die Krebsforscher der Weltgesundheitsagentur das friedliche Bild mit dem Urteil „wahrscheinlich krebserregend“. Institute in Berlin und Brüssel sehen es anders. Aber die Diskussion ist nicht mehr aufzuhalten. Es folgen Untersuchungen vieler Umweltschutzorganisationen, die Glyphosat-Reste in Speiseeis und anderen Naturalien nachweisen. Umweltverbände und NGOs haben sich längst zu einer schlagkräftigen Bewegung formiert. Über 100 schlossen sich zusammen und legten in Brüssel 1,3 Millionen Unterschriften gegen die verlängerte Zulassung von Glyphosat vor. Für viele Gegner geht es längst nicht mehr nur um das konkrete Produkt, sondern um eine Agrarwende. Weg von Pflanzenschutzmitteln, hin zu einer Renaissance natürlicher Nahrungsmittelproduktion. Dafür plädieren auch die Umweltschützer, die vergangene Woche vor einem enormen Insekten- und Vogelsterben in Deutschland warnten. Sie machen die konventionelle Landwirtschaft verantwortlich.

Die Frage, wie es ohne Glyphosat weitergehen würde, ist schwer zu beantworten. Laut Umweltbundesamt würde es bei Auslaufen der Zulassung eine mehrmonatige Aufbrauchfrist geben. Dann, so fürchten viele, könnten die Bauern allerdings geneigt sein, zu anderen Herbiziden zu greifen. Bei Monsanto und seinem künftigen Besitzer Bayer weiß man bereits, wie es weitergeht. Sollte Glyphosat tatsächlich verschwinden, will man die EU verklagen.

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