Tabula rasa, Teil 1

Berlin · Die Grünen tauschen nach der Bundestagswahl fast zwei Dutzend Führungsleute aus. Was aus Spitzenmann Jürgen Trittin wird, ist aber offen. Es geht auch um die Frage, wie sehr die Grünen ihr Heil links oder in der Mitte suchen.

Für die erste Überraschung nach dem 8,4-Prozent-Debakel der Grünen sorgt der Parteichef. Schon am Morgen fordert Cem Özdemir eine auch personelle Neuaufstellung. Das hört sich anders an als die Appelle zum gemeinsamen Aufarbeiten, mit denen die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin am Vorabend auf die Niederlage bei der Bundestagswahl reagiert hatten. Was dahintersteckt, wird im Lauf der Stunden danach klar. Die komplette Parteiführung zieht sich zurück. Vorstand und Parteirat, 22 Leute, sollen neu gewählt werden.

Den Anfang des Wundenleckens machte ein nächtliches Krisentreffen der Spitzengrünen in Berlin. Schon da kam die Sprache auf die Neuwahl des Vorstands. Zumindest einzelne hätten wohl ohnehin neu bestimmt werden müssen. Doch die Parteichefs Claudia Roth und Özdemir fanden wohl, der Einbruch der Partei macht mehr nötig, als formell ohnehin anstehende Umbesetzungen. Der Vorsitzenden Roth kommt es zu, am Morgen in interner Sitzung den Rückzug auf die Tagesordnung zu setzen.

Tabula rasa bei den Grünen? So schnell geht es nicht. Wer wieder antreten will, kann das beim Parteitag im Herbst tun. Özdemir will wohl, Roth trauen viele nun einen souveränen Rückzug zu. Vor allem aber: Die Zukunft Göring-Eckardts und des Fraktionschefs Trittin ist völlig offen. Sie lassen sich nicht in die Karten gucken, als sie am Montagnachmittag in der großen Columbiahalle in Berlin, in der schon die Wahlparty stattfand, Stellung beziehen. "Wir werden dieses gemeinsam diskutieren und dann gemeinsam entscheiden", sagt Trittin. Zumindest räumt der Parteilinke ein, viele in Deutschland seien wohl doch konservativer als die Grünen mit ihrem Wahlprogramm gedacht hätten. Aber als Konsequenz will er eher weiter Überzeugungsarbeit im Sinn seiner Ziele leisten. Göring-Eckardt und Özdemir von den Realos hören sich stärker nach Verschiebung in die Mitte an.

Es geht künftig auch darum, ob sich die Grünen perspektivisch eher zu Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün entwickeln wollen. "Wir würden hier heute mit einem ganz anderen Gesicht herumlaufen, wenn wir eine rot-rot-grüne Machtoption gehabt hätten", sagt etwa Parteiratsmitglied Gerhard Schick.

Was wird aus Trittin?

Fraktionsvize Kerstin Andreae betont hingegen, die Grünen dürften die Wirtschaft nicht abschrecken. Zentral findet sie: "Haben wir den Brückenschlag in die Wirtschaft oder haben wir ihn nicht?" Im Gerechtigkeitswahlkampf seien kommunikative Fehler gemacht worden. Realofrau Andreae gilt als Anwärterin für einen der zwei Chefposten in der Fraktion, genau wie Göring-Eckardt. Seitens der Linken wird Verkehrspolitiker Anton Hofreiter genannt. Vielleicht macht auch Trittin weiter.

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