"Systematisch an den Rand gedrängt"

An welchen Kriterien muss sich die ESM-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes messen lassen, wenn sie eine gute Entscheidung sein soll?Schulz: Das Bundesverfassungsgericht wird abwägen, inwieweit der ESM die deutschen Verfassungsregeln berührt oder nicht

An welchen Kriterien muss sich die ESM-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes messen lassen, wenn sie eine gute Entscheidung sein soll?

Schulz: Das Bundesverfassungsgericht wird abwägen, inwieweit der ESM die deutschen Verfassungsregeln berührt oder nicht. Man ist sicher gut beraten, wenn man dabei berücksichtigt, welche Verpflichtungen der Gesetzgeber übernommen hat, der in beiden Kammern eine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande brachte. Somit wird auch zu entscheiden sein, ob eine solche verfassungsändernde Mehrheit wirklich das Grundgesetz verletzt. Das muss die Messlatte des Bundesverfassungsgerichtes sein.

Haben wir mit dieser Stabilitätsarchitektur jetzt alles erledigt? Oder wo müssen wir bei den nächsten Schritten noch zulegen oder nachbessern?

Schulz: Wir brauchen die Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen, die wir in Deutschland weitgehend schon vollzogen haben. Das ist die eine Seite. Dann brauchen wir aber auch Wachstumsimpulse, denn ohne Wachstum und Steuereinnahmen werden die Krisenstaaten nicht aus ihren Schulden heraus kommen. Darüber hinaus ist im Europaparlament Konsens, dass sich auch die Krisenverursacher an den Finanzmärkten an den Kosten für die Krisenbeseitigung beteiligen müssen. Dabei gilt: Alles, was getan werden muss, muss demokratisch legitimiert werden. Das große Defizit besteht momentan darin, dass das Europaparlament teilweise systematisch an den Rand gedrängt worden ist. Das werden wir natürlich nicht hinnehmen. Ich sage deshalb schon jetzt deutlich: Die Vorstellung, man könne eine Bankenunion am Europäischen Parlament vorbei auf die Beine stellen, ist nicht denkbar. Ich gehe davon aus, dass der Präsident der EU-Kommission dazu auch in seiner Rede am Mittwoch Entsprechendes sagen wird. Das ist leicht möglich, indem die Arbeit der bisherigen Bankenaufsicht in London und die Tätigkeit der EZB kombiniert werden, sodass das Parlament mit am Tisch sitzt.

37 000 Bürger haben sich der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen. Rettungsschirme werden errichtet, ohne die Menschen zu fragen - hat Europa hier nicht ein gewaltiges demokratisches Defizit?

Schulz: Das sehe ich etwas anders. Wenn ein Parlament mitwirkt, ist auch die Bevölkerung beteiligt. Die Vorstellung, Demokratie bedeutet nur direkte Beteiligung, ist falsch. Bundestag und Bundesrat haben beim ESM mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, parlamentarische Entscheidung als nicht demokratisch legitimiert hinzustellen.

Foto: Hoslet/dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort