„Symbol der Moderne“

Viele Saarbrücker stöhnen heute über den Lärm und den Gestank der Stadtautobahn. Als sie 1963 eröffnet wurde, war der Jubel allerdings groß. Über sich ändernde Wertvorstellungen einer Gesellschaft sprach SZ-Redakteur Thomas Schäfer mit dem Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs, Hans-Christian Herrmann.

Herr Herrmann, die Stadtautobahn gilt heute als die wohl größte Bausünde in Saarbrücken. Was veranlasste die Verantwortlichen vor vielen Jahrzehnten zu dem Projekt?

Herrmann: Größte Bausünde? Als die Stadtautobahn am 14. Dezember 1963 für den Verkehr freigegeben wurde, jubelten die Saarbrücker und das ganze Land. Die Autobahn war ein Symbol der Moderne, vor allem ein Symbol für den erfolgreichen Anschluss an die Bundesrepublik. Wirtschaftlich brauchte das Saarland ganz dringend Autobahnanschlüsse, es war verkehrsgeografisch vom Rest der Welt abgetrennt. Der saarländische Schriftsteller Manfred Römbell lässt den Erzähler in seinem Roman "Rotstraßenträume" dazu feststellen: "Denn ein Bundesland ohne Autobahn war kein Bundesland, das war die Walachei ".

Die Autobahn wurde also als große Errungenschaft gefeiert?

Herrmann: Die Mehrzahl der Saarländer lebte schon damals in kleineren Orten und Städten und die Mehrheit arbeitete in Saarbrücken. Nach Eröffnung der Stadtautobahn wunderten sich die Saarbrücker Chefs, ihre Mitarbeiter kamen fast 30 Minuten früher zur Arbeit. Mit der Stadtautobahn ging vieles schneller, vor allem wälzten sich vorher Verkehrslawinen durch die Stadt. Die Autobahn brachte Entlastung, aber immer mehr Menschen wurden zu Autobesitzern und so stieg das Verkehrsaufkommen trotzdem kontinuierlich. Saarbrücken hat den Verkehr einer Millionenmetropole.

Gab es im Saarland denn überhaupt keine Proteste gegen den Autobahnbau?

Herrmann: Bei der Eröffnung titelte die Saarbrücker Zeitung "Den Anschluss geschaffen" und sprach von der Autobahn im Grünen. Vereinzelt äußerten Bürger Kritik an der Umsetzung und die war zweifellos auch berechtigt, denn Brückenbögen der Alten Brücke waren beseitigt worden und vor allem die später erforderliche Umgestaltung der alten Schlossmauer im Rahmen der Hochwasserumgehung sorgte für großen Ärger. Es waren Facheliten wie etwa Kunsthistoriker, Architekten und vor allem der Landeskonservator, der von Ministerpräsident Röder, damals zugleich Kultusminister, an die Kandare genommen wurde.

Der Sinn für historische Bausubstanz war damals in Deutschland und vor allem im Saarland nur schwach entwickelt und auch die ungünstige Führung der Autobahn viel zu nahe am damals noch fast neuen Pingusson-Bau spielte seinerzeit keine Rolle. Erst im Zuge der Kritik an der autogerechten Stadt Anfang der 1970er Jahre und durch die Hochwasserproblematik sah die Öffentlichkeit kritischer auf die Stadtautobahn, die sie einst so bejubelt hatte. Aber Hochwasser hatte es schon vor der Stadtautobahn gegeben und wenn man die Autobahn auf Stelzen gebaut hätte, wie das seinerzeit auch erwogen wurde, wäre ein wahres Monstrum entstanden.

Was kostete der Bau der Stadtautobahn eigentlich?

Herrmann: Seinerzeit war die Rede von 70 Millionen DM. In erster Linie war es ein Projekt des Bundes, in das die Stadt und das Land miteingebunden waren. Insgesamt ist die Stadtautobahn ein klassisches Beispiel dafür, wie sich die Wertvorstellungen einer Gesellschaft im Laufe der Zeit ändern.

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