SZ-Interview „Strauß hätte einen festeren Damm gegen die AfD gebaut“

München · Der Politikwissenschaftler erklärt, warum die Partei Erfolg hat und weshalb er ihr trotzdem keine „Überlebensgarantie“ einräumt.

Reicht ein politisches „Weiter so“? Und würde Franz Josef Strauß heute AfD wählen? Zweimal nein, sagt Heinrich Oberreuter, Professor an der Münchner Hochschule für Politik.

Herr Professor Oberreuter, allerorten wird geklagt, der Bundestagswahlkampf wäre „langweilig“. Sehen Sie das auch so?

OBERREUTER Diese Klage war schon in den letzten drei Bundestagswahlkämpfen zu hören. In einem politischen und gesellschaftlichen System, in dem die Verwerfungen nicht so tief und der Konsens relativ hoch sind, muss man sich ja nicht unbedingt auf die angestrengte Suche nach Alternativen begeben. Hinter dem Vorwurf steckt auch Heuchelei. Wann immer Parteien in eine Auseinandersetzung eintreten, sagt alle Welt, die streiten ja bloß.

Kann man „langweilig“ mit „ideenlos“ übersetzen? Sehen Sie denn neue Ideen im Wahlkampf?

OBERREUTER Die Zustände in Deutschland sind so positiv, dass wir von allen Seiten beneidet werden. Die Leute fühlen sich wohl und wollen nicht, dass sich etwas verändert. Die Parteien der Mitte, zu denen seit einiger Zeit erstaunlicherweise auch die Grünen gehören, antworten entsprechend.

Reicht das für die Zukunft?

OBERREUTER Themen wie Digitalisierung, Mobilität, Energie, Wettbewerbsfähigkeit, Integration unter Bewahrung unserer politischen Kultur, werfen Fragen nach einem Gestaltwandel der Gesellschaft auf. Wir haben durchaus Herausforderungen, die über das „Weiter so“ hinausgehen und die in diesem Wahlkampf leider nicht artikuliert werden.

Steht nicht gerade die Kanzlerin für ein solches „Weiter so“ und das Fehlen von Visionen?

OBERREUTER Vision ist ein viel zu weitgehender Begriff. Politik hat mit Realitäten zu tun, die auch über Wahlperioden hinausgehen. Im Augenblick gibt es überall nur das Bemühen, vom September 2017 ins Frühjahr 2018 zu kommen. Die Kanzlerin steht seit Langem für ein pragmatisches und reaktives Regieren präsidialer Natur. Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas dagegen hätte, die Große Koalition fortzusetzen. Sie räumt umstrittene Zukunftsthemen beiseite oder sie akzeptiert sie und macht sie so stumpf – wenn ich zum Beispiel an die „Ehe für alle“ denke, für die Frau Merkel den Kanal geöffnet hat. Wenn ich an die Diskussion um die „Rente mit 70“ denke, ist das ein Beiseiteräumen durch Vertagen.

Frau Merkel hat ja vor allem 2015 den Flüchtlings-Kanal geöffnet – Anlass für fast zwei Jahre Streiterei in der Union. Wird die CSU an der „Obergrenze“ festhalten?

OBERREUTER Im C-Lager haben wir zwei Parteiführer, die ihre Positionen garantieren. Seehofer garantiert die Obergrenze, Merkel sagt, sie kommt garantiert nicht. Ich halte es für höchstwahrscheinlich, dass es eine Kompromissformulierung gibt, bei der beide sagen können, sie hätten sich durchgesetzt.

Die Angst der CSU vor der AfD scheint groß. Ist das passiert, wovor Franz Josef Strauß immer gewarnt hat, nämlich dass sich rechts der CSU eine politisch legitimierte Kraft dauerhaft etabliert hat?

OBERREUTER Der AfD räume ich wie zuvor NPD, DVU und Republikanern auch keine Überlebensgarantie ein. Reiner Protest und Nationalismus werden nicht reichen. Aber die Herausforderung ist schon größer als vorher. Man muss sich nicht wundern, wenn die Union konservative Positionen räumt, von der Sozialdemokratisierung der CDU die Rede ist, und auch die Positionen eines aufgeklärten Patriotismus von niemandem besetzt werden. In dieses Vakuum ziehen Kräfte ein, die sehr rückwärtsgewandt sind. Das haben die Parteien selbst zu verantworten. Jetzt mit viel Aggressivität auf die AfD einzuschlagen, wird sie nicht aus den Parlamenten heraushalten. Notwendig bleibt eine substanzielle politische Auseinandersetzung.

In Bayern plakatiert die AfD „Wer CSU wählt, wählt Merkel“. Geht da auf der anderen Seite wieder etwas für die Union verloren?

OBERREUTER Ich würde sagen, 20 Prozent der CSU-Wähler wählen wegen Merkel CSU – so wie außerhalb Bayerns sicher viele CDU wählen, weil es die CSU gibt. Das ist ein uralter Mechanismus. Die AfD-These, dass Strauß heute AfD wählen würde, ist – wenn man sich die ganze AfD anschaut – sicher nicht vertretbar. Strauß hätte aber mit einer starken und auch polemischen Auseinandersetzung einen noch festeren Damm gebaut. Eine Konsequenz davon ist, dass die AfD heute in Bayern weniger ins Kraut schießt und die dominante Position der CSU gar nicht untergräbt.

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