Steuerdebatte hausgemacht

Berlin. Der Unionspolitiker Otto Bernhardt sorgte gestern für reichlich Irritation in seiner Partei, als er überraschendend die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent forderte, wie er für Lebensmittel und Schnittblumen gilt. Noch am Abend allerdings dementierte Bernhardt seine Äußerungen nach scharfer Kritik aus der eigenen Partei

Berlin. Der Unionspolitiker Otto Bernhardt sorgte gestern für reichlich Irritation in seiner Partei, als er überraschendend die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent forderte, wie er für Lebensmittel und Schnittblumen gilt. Noch am Abend allerdings dementierte Bernhardt seine Äußerungen nach scharfer Kritik aus der eigenen Partei.

Die kam unter anderem von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla: "Mit uns wird es Entlastungen geben und keine Belastungen." Bernhardts Äußerung sei eine Einzelmeinung. Es war nicht das erste Dementi Pofallas an diesem Tag. Am frühen Morgen hatte die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf Parteikreise vorab über die Pläne berichtet. Nach Berechnungen aus der Fraktion könnte die Anhebung rund 14 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen für die Staatskasse bringen. Pofalla befand umgehend: "Diese Meldung ist absoluter Unsinn." Derartige Überlegungen gebe es für die nächste Legislaturperiode nicht. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sprang seinem Kollegen von der Schwesterpartei bei: "Die Mehrwertsteuer muss sozialverträglich ausgestaltet bleiben und da gehört der ermäßigte Satz für den alltäglichen Lebensbedarf zwingend dazu."

Am Nachmittag überraschten zwei Vorabmeldungen der "Rheinischen Post" und des "Kölner Stadt-Anzeiger" das politische Berlin. Bernhardt meldete sich darin mit der klaren Aussage zu Wort: "Ich halte es für richtig, nach der Bundestagswahl die Ausnahmen abzuschaffen und einen einheitlichen Satz einzuführen." Die niedrigen Sätze seien teilweise in den 1960er Jahren unter "völlig anderen gesellschaftlichen Umständen" eingeführt worden. Die Zusatzeinnahmen solle man für eine Senkung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 18 Prozent sowie für die Haushaltskonsolidierung einsetzen. Steuererhöhungen nannte Bernhardt unvermeidlich, wenn es nicht gelinge, staatliche Ausgaben entscheidend zu kürzen. Als Beispiele führte er etwa das Kurzarbeitergeld an. Denkbar sei auch die Kürzung von Subventionen. Nähere Angaben machte er nicht. "Dass wir das jetzt vor der Wahl nicht konkret sagen, ist völlig logisch. Wir sind keine Selbstmörder", so Bernhardt. Am frühen Abend dementierte Bernhardt die Berichte: "Keiner bei uns in der Union hat die Absicht den ermäßigten Steuersatz abzuschaffen", sagte er der "Augsburger Allgemeinen" .

Kreuzfeuer kam auch von anderen Parteien. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte der "Financial Times Deutschland": "Die Union hat in der Steuerpolitik ihre Glaubwürdigkeit völlig verspielt." Der FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms beschwerte sich in der "Leipziger Volkszeitung": "Was da in der Union läuft, ist unverantwortlich." Die Debatte verunsichere die Bürger.

Grünen-Fraktionsvize Christine Scheel forderte die Union auf, sich "von ihren absurden Steuersenkungsversprechen" zu verabschieden und vor der Bundestagswahl den Bürgern reinen Wein einzuschenken. Und Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine jubilierte: "CDU/CSU lassen die Katze aus dem Sack: Die Ärmsten sollen die Zeche der Krise zahlen."

Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett einen Haushaltsentwurf für 2010 verabschiedet, der eine Rekordneuverschuldung von 86 Milliarden Euro aufweist. Nach Ansicht von Experten sind daher Steuererhöhungen sowieso auf Dauer unausweichlich. "Die Rechnung für teure Abwrackprämien kommt also noch", sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, der "Berliner Zeitung". Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Klaus Zimmermann, hatte bereits zuvor einen Vorschlag: Der Bund solle zur Haushaltssanierung die Mehrwertsteuer von derzeit 19 auf bis zu 25 Prozent erhöhen.

auf einen blick

Im EU-Vergleich liegt Deutschland mit einem Satz von 19 Prozent bei der Mehrwertsteuer knapp unter dem Durchschnitt von 19,52 Prozent. In den 27 Mitgliedstaaten schwankt die Spanne der Steuer auf den Austausch von Güter und Dienstleistungen um bis zu zehn Punkte. Spitzenreiter sind Dänemark und Schweden mit 25 Prozent. Auf Zypern, in Luxemburg und in Großbritannien werden nur 15 Prozent aufgeschlagen. In Spanien liegt die Steuer bei 16, in Frankreich bei 19,6 und in Italien bei 20 Prozent. dpa

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