Steuer-Poker um Milliarden für Bildung und Langzeitsarbeitslose

Berlin. Von einem "Kuhhandel" wollte FDP-Vize Andreas Pinkwart nichts wissen

Berlin. Von einem "Kuhhandel" wollte FDP-Vize Andreas Pinkwart nichts wissen. Wenn der Bund den Ländern jetzt aus seinem Mehrwertsteueraufkommen mehr Milliarden für eine bessere Bildung in Aussicht stelle, habe dies nichts mit der angedrohten Bundesrats-Blockade des schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetzes zu tun, beteuerte der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister gestern wieder. Doch der neue Milliarden-Poker zwischen Bund und Ländern ist längst eröffnet. Die SPD warf der Koalition gar vor, heimlich eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer zu planen. Bundeskanzlerin Angela Merkel will kommende Woche den Ländern gleich zweimal kräftig in die Tasche reifen. Beim zweiten Bildungsgipfel am 16. Dezember in Berlin will sie die Ministerpräsidenten bewegen, zusammen mit dem Bund die Investitionen für Bildung und Forschung bis 2015 um 13 bis 18 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Den Großteil davon sollen Länder und Kommunen zahlen. Am 18. Dezember dann sollen die Länder im Bundesrat dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zustimmen. Die Länder rechnen mit Einnahmeverlusten von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr. Bei den Kommunen schlägt das Gesetz mit weiteren 1,6 Milliarden Euro Mindereinnahmen zu Buche. Die Bundesländer laufen Sturm. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller machte gestern Abend erneut klar, dass die Landesregierung bei ihrer ablehnenden Haltung bleibe. "Gegenwärtig ist dieses Gesetz für uns nicht zustimmungsfähig", erklärte Müller. Zwar habe der Bund signalisiert, im Bildungsbereich "ein Stück finanzielle Verantwortung zu tragen", räumte er ein. Doch gebe es bislang "kein belastbares Angebot des Bundes". Derweil sind im Bund-Länder-Poker um eine mögliche Kompensation jetzt auch die Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger ins Blickfeld geraten. Der schleswig-holsteinische FDP-Chef Jürgen Koppelin (Foto: dpa) verwies gestern gegenüber unserer Zeitung darauf, dass man in Kiel einen Katalog möglicher Ausgleichsmaßnahmen zusammengestellt habe, der auch eine Entlastung der Kommunen bei den Kosten für Langzeitarbeitslose enthalte. Zuvor hatte schon Sachsens Ministerpräsident Tillich (CDU) entsprechende Überlegungen bestätigt. Der Streit über die Aufteilung der Miet- und Heizkosten für Langzeitarbeitslose schwelt seit Jahren. Erst vergangene Woche hatte der Bundestag eine Neuregelung beschlossen, wonach der Bund seinen Zuschuss an die Kommunen 2010 von durchschnittlich 26 auf 23,6 Prozent der Gesamtkosten zurückführt. Entsprechend höher liegt der Anteil der Städte und Gemeinden. Nach geltender Rechtslage ist die Zuschusshöhe von der Entwicklung der so genannten Bedarfsgemeinschaften abhängig. Unterschreitet sie eine bestimmte Schwelle, fällt auch die Bundeshilfe niedriger aus. Tatsächlich ist die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Privathaushalte 2008 um knapp 150 000 auf 3,58 Millionen gegenüber dem Vorjahr gesunken. Diese Daten der Bundesagentur für Arbeit lassen aber noch keine Rückschlüsse auf die konkreten Kosten zu. Nach Angaben des Deutschen Städtetages hat die Rechtslage zu der paradoxen Entwicklung geführt, dass die Bundesbeteiligung seit drei Jahren rückläufig ist, obwohl die Gesamtaufwendungen im gleichen Zeitraum zugelegt haben. So gaben die Kommunen im Jahr 2007 rund 13,7 Milliarden Euro für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern aus. Der Bund beteiligte sich daran mit 4,36 Milliarden. 2009 werden die Kommunen mit 13,8 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Aber der Bund steuert anteilig nur noch 3,6 Milliarden Euro bei. Ursache für die kommunalen Mehrbelastungen sind in erster Linie gestiegene Heizkosten. Dadurch wird die rückläufige Zahl der Bedarfsgemeinschaften überkompensiert. Nach Ansicht von Experten ist dieser Effekt aber nicht der einzige Webfehler des Gesetzes. Als die Regelungen ausgetüftelt wurden, schlugen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Vorzugbehandlung für sich heraus. So kommt es, dass der Beteiligungssatz des Bundes 2010 dort bei 27 beziehungsweise 33 Prozent liegt, während er für die Kommunen in den übrigen Bundesländern nur 23 Prozent beträgt. In Schleswig-Holstein kann man sich daher gut vorstellen, künftig ebenfalls von einer Extrawurst zu profitieren.

HintergrundNach dem Bundestag soll am 18. Dezember auch der Bundesrat dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zustimmen. Dabei müssen alle von Union und FDP regierten Länder das Steuerpaket passieren lassen, damit es in Kraft treten kann. Schwarz-Gelb kann sich im Bundesrat aber nur auf eine knappe Mehrheit stützen. 37 der 69 Stimmen kommen aus sieben Ländern mit Koalitionen von Union und FDP. Das sind zwei Stimmen mehr als nötig. Dabei haben die schwarz-gelben Regierungen von Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen und Bayern je sechs Stimmen. Auf Hessen entfallen fünf, auf Sachsen und Schleswig-Holstein je vier. Sollte eines der Länder nicht zustimmen, wird der Bundesrat die Steuersenkungen zumindest verzögern. dpa

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