Steinmeier schaltet einen Gang höher

Berlin. Das mit dem Geschenk ist dann doch etwas gemein. Fast eine Stunde lang hat Frank-Walter Steinmeier in der Technischen Universität München den Erklärungen forschungsbegeisterter Frauen zugehört und immer wieder kluge Nachfragen gestellt. Nun gibt es zum Dank einen "Mut-Mach-Roboter" für den Kandidaten

Berlin. Das mit dem Geschenk ist dann doch etwas gemein. Fast eine Stunde lang hat Frank-Walter Steinmeier in der Technischen Universität München den Erklärungen forschungsbegeisterter Frauen zugehört und immer wieder kluge Nachfragen gestellt. Nun gibt es zum Dank einen "Mut-Mach-Roboter" für den Kandidaten. Auf diesen Namen haben die Wissenschaftlerinnen den kleinen Blech-Kerl jedenfalls getauft. "Der hat zwar ein paar Blessuren, ist aber ganz klar die Nummer 1", witzelt jemand in der Runde. Tatsächlich ist der Figur ein dickes Pflaster ins Gesicht gemalt. Das linke Auge ist lädiert. Doch Steinmeier nimmt's mit Humor. Er erzählt, dass seine 13-jährige Tochter wohl nichts mehr mit dem Spielzeug anfangen könne, bedankt sich und eilt zum nächsten Auftritt.Zuerst ging es nach Nordrhein-Westfalen, dann nach Baden-Württemberg und Bayern. Gestern war Niedersachsen dran, heute Sachsen und Thüringen. Der Hoffnungsträger der SPD nutzt in diesen Tagen alle politischen Vertriebswege, um das zu schaffen, woran die allerwenigsten im Lande bei der Bundestagswahl am 27. September noch glauben: Angela Merkel die Kanzlerschaft abzujagen. Allein im August bereist Steinmeier 14 Bundesländer. Fast 60 Termine sind geplant. Parallel dazu lädt das Willy-Brandt-Haus daheim gebliebene Hauptstadtjournalisten zu Hintergrundgesprächen ein, in denen sich die Mitglieder von Steinmeiers "Kompetenzteam" präsentieren. Bislang hat die Offensive aber kaum gefruchtet. Schlimmer noch: Der Kandidat muss sich immer wieder mit Rückschlägen herumplagen. Gerade erst hat Forsa der SPD schlappe 20 Prozent in der Wählergunst bescheinigt. Das ist der tiefste Wert seit einem Jahr. Der Kandidat und seine Berater sind deshalb sauer darüber, weil die Befragung in der Vorwoche stattfand, aber trotzdem so brandaktuell wirkt, als wäre Steinmeiers zwischenzeitlich aufgelegter Deutschland-Plan vom Wahlvolk in der Luft zerrissen worden. Dabei verspricht sich die SPD von dem Papier wahre Wunder. Also hat Steinmeier sofort einen kämpferischen Standardsatz parat: "Ich beschäftige mich nicht mit Zahlen von gestern, sondern mit der Arbeit von Morgen." "Die Arbeit von Morgen" ist besagter Plan auch überschrieben. Und darin geht es um weit mehr als die kontrovers diskutierten vier Millionen neuen Jobs. Die Parteistrategen sehen in den 67 Seiten Text das Drehbuch für Steinmeiers Wahlkampftour. Sein Wirtschaftsvertrauter Markus Klimmer, zuvor bei der Unternehmensberatung McKinsey aktiv, sagt: "Man muss die Thesen auch fotografieren können." Deshalb zieht es Steinmeier zu Wissenschaftlerinnen an der TU München. Schließlich wird die Gleichberechtigung der Geschlechter in seinem Papier ganz groß geschrieben. Deshalb besucht er auch unkonventionelle Mittelständler wie Ernst Prost, der die 450 Arbeiter in seiner Ulmer Motorenölfirma Liqui Moly "Mitunternehmer" nennt und nach eigenem Bekunden lieber sein "Schloss verkaufen" würde, anstatt Leute zu entlassen. Die dazu passenden Thesen im Deutschland-Plan finden sich unter der Rubrik "Neustart der Sozialen Marktwirtschaft". Für ein breites Publikum sind solche Feinheiten allerdings ohne Belang. Warum auch? Entscheidend bleibt, wie Steinmeier auf seine Zuhörer wirkt. Unternehmer Prost betont: "Mir is' wurscht, wer die Wahl gewinnt. Hauptsache, die tun etwas zum Wohle des Landes." Und die Münchner Professorin Susanne Ihsen meint, das Bekenntnis zur Gleichberechtigung sei zwar gut. "Aber die SPD muss zur Kenntnis nehmen, dass die erste Kanzlerin aus einer anderen Partei kommt." Das ist der wunde Punkt. SPD-Chef Franz Müntefering suchte die Popularität von Merkel mit heftigen Verbalattacken einzudämmen. Doch erreichte er damit das Gegenteil. Steinmeier versucht es nun mit Nichterwähnung. Aber das tut Merkels Beliebtheit ebenfalls keinen Abbruch. "Bei der Profilierung können auch Schärfen auftreten", sagt Steinmeier etwas verquast, als ihn ein Journalist bei der Busfahrt zum nächsten Termin darauf anspricht. Aber persönliche Verletzungen? "Das ist nicht mein Stil, das würde nicht zu mir passen."Wohl wahr. Steinmeier war lange Zeit ein Spitzenbeamter, ein Techniker der Macht, aber kein Machtpolitiker. Und eine "Rampensau", wie sie sein alter Förderer Gerhard Schröder gern gab, ist er schon gar nicht. Steinmeier gewinnt im kleinen Kreis. Größere Menschen-Ansammlungen sind ihm eher unheimlich. Vor ein paar Tagen hat das ZDF ein überwiegend freundliches Porträt über den Merkel-Herausforderer gesendet. Darin kommt Steinmeiers alte Studienfreundin und heutige Justizministerin Brigitte Zypries mit der Bemerkung zu Wort: "Es ist keine Frage, dass Steinmeier Kanzler kann, die Frage ist, ob er Kandidat kann." Kann er das? "Das sehen sie doch", lächelt der Kandidat im Bus qequält. Vom "Mut-Mach-Roboter" ist garantiert keine Hilfe zu erwarten. Auf seinem Rücken steht "K.o." geschrieben. "Es ist keine Frage, dass Steinmeier Kanzler kann. Die Frage ist, ob er Kandidat kann." Justizministerin Brigitte Zypries (SPD)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Deutschland hat die Wahl 52 Tage vor der Bundestagswahl kehren die Wahlkämpfer auf die Zielgerade ein. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier reist ebenso durch Deutschland wie Finanzminister Steinbrück, der gestern bei der SZ zu Gast war. Derweil wurden 27 Parte
Deutschland hat die Wahl 52 Tage vor der Bundestagswahl kehren die Wahlkämpfer auf die Zielgerade ein. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier reist ebenso durch Deutschland wie Finanzminister Steinbrück, der gestern bei der SZ zu Gast war. Derweil wurden 27 Parte