Steinbrück pocht auf Regeln für Finanzmärkte

Deutschland wird die internationale Finanzkrise offenbar stärker zu spüren bekommen, als bislang von der großen Koalition eingestanden

 So nicht mehr: Finanzminister Steinbrück will klare Regeln für die Finanzmärkte. Foto: dpa

So nicht mehr: Finanzminister Steinbrück will klare Regeln für die Finanzmärkte. Foto: dpa

Deutschland wird die internationale Finanzkrise offenbar stärker zu spüren bekommen, als bislang von der großen Koalition eingestanden. In einer Regierungserklärung entwarf Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) gestern im Bundestag ein düsteres Szenario zu den Folgen des Bankencrashs: Man müsse sich in nächster Zeit "auf niedrigere Wachstumsraten und - zeitlich verschoben - eine ungünstige Entwicklung auf den Arbeitsmärkten einstellen". Um ihre Spareinlagen brauchten sich die Bürger aber nicht zu sorgen, versicherte Steinbrück.

Bislang sah der Bundeskassenwart keinen Anlass für eine Korrektur der wirtschaftlichen Erwartungen. Doch das dürfte sich bald ändern. Am 16. Oktober will die Regierung ihre neue Wachstumsprognose vorlegen. Anfang November gibt es die nächste Steuerschätzung. Bislang rechnet Schwarz-Rot für das kommende Jahr mit einem Wachstum von 1,2 Prozent. Spekulationen zufolge wird die Koalition nun nur noch von 0,5 Prozent ausgehen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel erwartet lediglich ein Plus von 0,2 Prozent. Das Ziel der Bundesregierung, im Jahr 2011 einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden aufzulegen, hätte sich damit erledigt.

In seiner Rede machte Steinbrück wieder einmal die USA für die Krise verantwortlich. Die gewaltigen Fehlspekulationen seien "vor allem ein amerikanisches Problem". Ähnliche Maßnahmen wie das von der US-Regierung geplante Rettungspaket über 700 Milliarden Dollar werde es in Deutschland daher auch nicht geben. Die Bankenaufsichtsbehörde BaFin sei sich sicher, dass die deutschen Geldinstitute in der Lage sind, "die Verluste auszugleichen und die Sicherheit der privaten Ersparnisse zu gewährleisten", betonte Steinbrück. Zugleich forderte er "neue Verkehrsregeln", um Krisen dieser Art in Zukunft auszuschließen. Dazu zählten ein höheres Eigenkapital bei den Banken sowie ein weltweites Verbot von "Leerverkäufen", also Spekulationen auf fallende Kurse mit fremd finanziertem Kapital.

Die dubiosen Vorgänge um die Staatsbank KfW und ihre Beteiligung an der Mittelstandsbank IKB fanden bei Steinbrück allerdings keine Erwähnung. Von der Opposition musste er sich dafür mangelnde Selbstkritik vorhalten lassen. Der FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms erinnerte Steinbrück an die Wahrnehmung seiner Aufsichtspflichten gegenüber der KfW, die zuvor schon der Bundesrechnungshof als "nicht nachvollziehbar" eingestuft hatte. Die Rettung der angeschlagenen IKB kostet den Steuerzahler etwa 1,8 Milliarden Euro. Die KfW ist mit einer Bürgschaft von über zehn Milliarden Euro dabei. "Zumindest ein Wort der Entschuldigung gegenüber dem Steuerzahler wäre angemessen", meinte Solms in Richtung Steinbrück.

Linksfraktionschef Oskar Lafontaine nutzte die Bundestagsdebatte zu einer Generalabrechnung mit der neoliberalen "Unterwürfigkeit unter die internationalen Finanzmärkte". Dabei zitierte der Saarländer aus der Koalitionsvereinbarung, in der "Produktinnovationen" auf dem Finanzmarkt ausdrücklich "unterstützt" werden. Schon die rot-grüne Bundesregierung habe nach seinem Rückzug als Bundesfinanzminister hoch spekulative Hedge-Fonds zugelassen. Jetzt sei Steinbrück für den "Schrott" verantwortlich. "Sie hätten früher sagen müssen, das ist verrückt", warf Lafontaine seinem Nach-Nachfolger vor.

Die frühzeitigen Warnungen des Saarländers vor ungezügelten Finanzmärkten wollten die Sozialdemokraten gestern nicht in Abrede stellen. Im Jahr 1999 sei Lafontaine aber vor der Arbeit "abgehauen", rügte SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. "Er hätte der Sankt Michael eines guten Finanzsystems werden können, stattdessen ist er der Luzifer der PDS geworden", meinte Stiegler.

Hintergrund

Die internationale Finanzkrise hat die Nachfrage nach Bundeswertpapieren beflügelt. "Es gibt ein verstärktes Interesse nach besonders sicheren und transparenten Anlagen", sagte gestern ein Sprecher der Finanzagentur des Bundes. Derzeit könnten trotz Ausbau der Service-Einrichtungen nicht alle telefonischen Anfragen von Privatanlegern sofort bearbeitet werden. In der Spitze riefen bis zu 13000 Menschen am Tag an.

Besonderer Renner ist nach Darstellung der Agentur die zum 1. Juli erstmals aufgelegte Tagesanleihe, die bereits ein Bestandsvolumen von mehr als 500 Millionen Euro erreicht habe. In den ersten knapp drei Monaten hätten 35000 Anleger das Produkt gekauft. Unter ihnen seien 12000 Neukunden, die im Schnitt 20000 Euro angelegt hätten. dpa

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