Stangentanz mit der Moral

Saarbrücken · Leicht bekleidet tanzen Frauen an der Stange – in Polerinas Poledance Studio in Saarbrücken, weil es ihr Sport ist. Und in der Table-Dance Bar Casanova in Saarlouis, weil es ihr Beruf ist. So ähnlich und doch so verschieden.

 Blaue Flecken bleiben selbst bei der Trainerin nicht aus – Tamara Saurer macht die Figuren so oft vor, bis jede sie kann. Fotos: Oliver Dietze

Blaue Flecken bleiben selbst bei der Trainerin nicht aus – Tamara Saurer macht die Figuren so oft vor, bis jede sie kann. Fotos: Oliver Dietze

Wie Jesus am Kreuz hängt sie an der Stange. "Oh Gott", presst Maxi durch die Lippen. Doch er nimmt ihr die Schmerzen nicht. Wer hoch hinaus will, muss leiden. "Das tut so scheiße weh, ich könnte jetzt schon heulen", schreit die junge Frau. Ihre Oberschenkel umklammern die Stange aus Nickel. Fest, eng. Ihr Körpergewicht zieht sie in Zeitlupe nach unten. Maxi hat ihre Arme zu den Seiten gestreckt. Wie Jesus am Kreuz. Ausharren, nicht weiter abrutschen. Jana rennt los, holt ihr Handy für das Beweisfoto. Es gibt Kraft zum Weiterkämpfen, zum Schmerzen ertragen. Die Mädchen jubeln und klatschen. Das "Kruzifix" - eine Figur im Poledance. Maxi hat sie gemeistert.

Die anderen üben noch. Einige schaffen es nicht, ihren Körper an der Stange hochzuziehen. Eine blonde, zierliche Frau im schwarzen Bustier und schwarzem Höschen hilft ihnen. Tamara Saurer, die Trainerin. "Drück mir den Arsch ins Gesicht", ruft sie Angelika zu und stemmt den Rumpf ihrer Schülerin in die Höhe. Geschafft.

Fünf Mädels sind im "Level 3" Kurs in Tamaras Studio Polerinas Poledance. 2015 hat die 25-jährige Österreicherin in Alt-Saarbrücken ihr Studio eröffnet. Ein Raum, 60 Quadratmeter, rosa Wände, eine Spiegelwand so groß wie in einem Ballettraum. Davor sechs Nickelstangen vom Boden bis an die Decke. Drei Meter hoch. Der Tanz an der Stange ist Tamaras Lebensunterhalt. Vor fünf Jahren fing sie mit einer Freundin in ihrer Heimat Österreich an. Aus Neugierde. "Ich habe Sport immer gehasst und war sehr steif und ungelenkig", sagt die Frau, bei der jeder Muskel sichtbar ist. Innerhalb von Sekunden hat sie ihn an der Stange hochgezogen, schwebt horizontal knapp unter der Raumdecke. Eins mit der Stange. Mal kopfüber wie beim Seemannsköpper. Mal waagerecht wie Superman. Immer grazil wie eine Ballerina. Poledance mische Akrobatik, Beweglichkeit, Tanz "und Elemente aus dem Ballett", erklärt sie.

Eine Sportart für jeden Muskel. Sie ist zum Trend geworden in den vergangenen Jahren. Eine Auszeit für junge Frauen von Studium und Arbeit. Polerinas Poledance ist nach dem Aerial Art in Quierschied das zweite Poledance-Studio im Saarland. Auch Fitnessstudios wollen sich die Stangen in ihre Räume holen. Kurse anbieten, erzählt Tamara.

Aber wo sollen die Trainer herkommen? Tamara hat vier selbst ausgebildet. Vielleicht hängen künftige Trainerinnen gerade im Level-3-Kurs an der Stange. Halten Schmerzen und blaue Flecken aus. Weil die "Sucht sie gepackt hat". Es sind zierliche Mädchen . Sie arbeiten bei einer Bank, im Restaurant oder Kindergarten. Einmal die Woche tanzen sie hier.

Im Rhythmus der Musik startet das Training. Die Hüllen fallen: knappe Höschen, enge Bustiers, barfuß oder in Socken. "Je höher du an der Stange kommen willst, desto weniger trägst du", sagt Tamara. Die Haut an Bauch, Taille oder Kniekehle hält den Körper an der Stange. Stoff haftet nicht am Metall. Wieder quietscht Haut. Die Mädchen stöhnen auf. Poledance ist ihr Sport. Ihre Leidenschaft, die sie nicht mit jedem teilen. "Ich muss aufpassen, wem ich davon erzähle", sagt Angelika. Und wenn, müsse sie erst erklären, dass sie in keiner Bar arbeite.

Auch in der Tabledance-Bar Casanova in Saarlouis tanzen Frauen an der Stange. Auch halb nackt. Auch sie kennen das "Kruzifix". Ein Schmuddelbetrieb aus der Klischeekiste ist die Bar allerdings nicht. "Wir sind ein Vorzeigebetrieb", sagt Valentina an der Theke. Sie gehört zum Führungspersonal.

Ein roter Teppich führt die Gäste die Marmortreppe hinunter in die Bar. Rote Ledercouches. Barocksessel. Auf der Bühne mitten im Raum glänzt die Stange im gedämmten Licht. Vor einer Spiegelwand. An den Tischen kommen Geschäftspartner zusammen, Freunde - und auch Frauen. Jeder Gast hat seinen Thron, ist für ein paar Stunden der König im Land der tanzenden Damen. Mit Champagner begießen sie Geschäfte, Geburtstage, genießen den Anblick von Tänzerinnen, die sich um eine Metallstange schlängeln. Sie trinken eine Cola für fünf Euro - oder eine Flasche Dom Pérignon für mehr als 390 Euro.

Aus dem Dunkeln taucht eine Tänzerin auf. In Dessous. Sie schwingt sich auf 15 Zentimeter High Heels um die Stange. Die Hüfte kreist. Sie bewegt sich verführerisch zur Musik. Die Hände streichen den Busen hinunter, finden die Stange. Die Haut reibt am Metall. Kein Fluchen. Die Tänzerin lächelt. Professionell. Erotik wabert durch den Raum. Von Schmerz und Anstrengung ist nichts zu sehen. Die Brüste. Die Po-Backen. Sie wirft ihrem Spiegelbild einen erotischen Blick zu. Stößt sich mit den Absätzen vom Boden ab. Und hängt kopfüber an der Stange. Das "Kruzifix". Auf den Kopf gestellt. Gegen Ende des Tanzes ein Griff und die Brüste sind befreit vom Stoff. An ihrem Körper kleben die Blicke von Männern. Manche starren sie an. Manche schauen nur kurz. Und wieder weg.

Die Musik wird leiser. Die bis auf den String nackte Tänzerin flaniert an die Tische. Lässt sich Scheine in ihr Höschen klemmen. Plaudert. Wer einen privaten Tanz von ihr im Séparée sehen will, alleine, kann das jetzt mit ihr ausmachen. Bei 35 Euro geht's los. Das ist Teil des Geschäfts mit Poledance und Striptease. "Der Unterschied zur Bühne ist der, dass der Private-Dance ein Full-Striptease ist." Der String kommt runter. "Wichtig ist uns Respekt", sagt Valentina mit den schwarzen, langen Haaren in rauchiger Stimme. Nicht nur zwischen Gast und Tänzerin. "Jedem gegenüber."

Vor 18 Jahren hat Valentina angefangen, an der Stange zu tanzen. Ein paar Jahre nur. "An Poledance als Sportart hat damals noch niemand gedacht", sagt die 40-Jährige. "Solche Studios gab es nicht". Sie hat von anderen Tänzerinnen gelernt. In der Casanova-Bar arbeiten Künstlerinnen - Selbstständige an der Stange. Manchmal sind sie nur einen Abend da, manchmal Wochen. Keine Prostituierten. "In manchen Tabledance-Bars sind die Grenzen zwischen Kunst und Prostitution fließend", erzählt Valentina. "Die Trennung ist verdammt wichtig", sagt sie. Für die Tänzerinnen, damit sie nicht mit Prostituierten verwechselt werden. Wie die Sportlerinnen, die nicht für Striptease-Tänzerinnen gehalten werden wollen.

 Viel Kraft und Akrobatik sind nötig, um den Körper in diesen Positionen zu halten.

Viel Kraft und Akrobatik sind nötig, um den Körper in diesen Positionen zu halten.

Die Tänzerinnen kommen aus ganz Europa, tanzen in Bars , auf Messen oder in TV-Shows. Manche von ihnen kommen über eine Agentur an die Jobs. Andere vermarkten sich selbst. "Bei uns rufen Tänzerinnen an und bieten einen Gastauftritt an." Seit acht Jahren gibt es die Casanova-Bar. 365 Tage im Jahr. Bis zu zehn Frauen am Abend. Der Stangentanz ist ihre Leidenschaft, ihr Job und der Grund, warum es Pole-Tänzerinnen wie Tamara und ihre Schülerinnen überhaupt gibt. Aber auch der Grund dafür, warum sie sich immer wieder für ihr Hobby rechtfertigen müssen. Oder nichts davon erzählen. Die Moral halt. Dabei ist Pole-Dance eine anstrengende, athletisch anspruchsvolle Sportart. Das sei aber beileibe noch nicht bei jedem angekommen, erzählen die Mädchen im Kurs. Zu dominant das Bild aus dem Rotlichtmilieu. Tamara würde gerne Kinder und Männer in ihren Kursen begrüßen. Sie kommen aber nicht. Dafür bräuchte Pole-Dance in der Gesellschaft mehr Akzeptanz. Da nützt auch das "Kruzifix" nichts.

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