Sprachlosigkeit nach dem Massaker

Am Tag nach dem schrecklichen Amoklauf in Winnenden herrscht den ganzen Tag über Belagerungszustand an dem Schulzentrum der Stadt. Mehrere Dutzend Fernsehteams aus dem In- und Ausland sind angereist, um über das, was für viele Anwohner der Stadt noch unfassbar erscheint, zu berichten. Viele Winnender wollen am Tag danach Anteilnahme zeigen

Am Tag nach dem schrecklichen Amoklauf in Winnenden herrscht den ganzen Tag über Belagerungszustand an dem Schulzentrum der Stadt. Mehrere Dutzend Fernsehteams aus dem In- und Ausland sind angereist, um über das, was für viele Anwohner der Stadt noch unfassbar erscheint, zu berichten. Viele Winnender wollen am Tag danach Anteilnahme zeigen. Vor der Schule entzünden Eltern, Schüler und Anwohner der Stadt ein Meer von Kerzen und legen Blumen nieder. Auf Plakaten und Zetteln fragen sie nach dem "Warum" der Tat oder erinnern an die Getöteten. Es herrscht tiefe Trauer und Bestürzung. Immer wieder fallen sich Jugendliche schluchzend in die Arme. Viele werden von ihren Eltern oder Freunden begleitet und gestützt. Auch Irmgard Sommer sucht mit einem Strauß Blumen in der Hand den Weg an die Albertville-Realschule, an der am Mittwoch Tim K. seine grausige Tat begann. In der Schule erschoss der 17-Jährige, der seine Tat zuvor in einem Chatroom im Internet angekündigt hatte, neun Schüler, davon acht Schülerinnen, sowie drei Lehrerinnen, bevor er auf seiner Flucht weitere drei Menschen und schließlich sich selbst tötete. In der Schule feuerte K. 60 Schüsse ab. Bislang stellten die Ermittler insgesamt 112 abgegebene Schüsse fest. Die Motivlage von K. ist auch am Donnerstag noch unklar. Zu Frauen habe der 17-Jährige ein "normales Verhältnis" gehabt, sagte Siegfrid Mahler von der Staatsanwaltschaft Stuttgart und wies damit Spekulationen über ein mögliches Motiv wegen Hass gegenüber Frauen zurück. Ermittlungen ergaben allerdings, dass K. sich in psychiatrischer Behandlung wegen Depressionen befunden hatte. Die Behandlung hatte er abgebrochen. Auch am Tag nach dem "Massaker von Winnenden", wie die Tat in den Medien bezeichnet wird, ist Sommer noch sprachlos. "Ich kann das alles nicht begreifen. Das ist einfach nur furchtbar", sagt sie unter Tränen. Hass auf den Amokläufer habe sie aber nicht. Das sagen auch viele andere. "Mir tun die Eltern von ihm nur so leid", fügt Sommer hinzu. Ihr 14-jähriger Enkel ist Schüler des benachbarten Gymnasiums. Die Schüler der Albertville-Realschule wurden gestern von 50 Psychologen in der angrenzenden Hermann-Schwab-Halle betreut. Teilweise wurden die Jugendlichen von ihren Eltern zu den Gesprächen begleitet. Viele wollen oder können noch nicht über das Erlebte sprechen. Viele berichten, dass ihnen die Lehrer verboten hätten, gegenüber der Presse etwas zu sagen. Einer, der redet, ist der 15-jährige Daniel. Er berichtet von einer "entspannten Atmosphäre" bei den Gesprächen mit den Psychologen. Es habe ihm gut getan. Er selber war in einem der Klassenzimmer, in der Tim K. Mitschüler erschossen hat. Als er versucht, über das Erlebte zu sprechen, versagt Daniel die Stimme. "Das ist alles noch ein wenig wie in einem Film. Man realisiert das noch gar nicht", erklärt er schließlich mit dünner Stimme. Sein Vater hat ihn zu dem Gespräch in der Schule begleitet. Der macht klar, dass es nun auch darum gehe, wieder zu einem "normalen Tagesablauf zurückzufinden".

HintergrundTim K. hat seinen Amoklauf in Winnenden womöglich doch nicht vorab im Internet angekündigt. Die Angaben der Ermittler, wonach die Ankündigung der Bluttat auf dem Computer des 17-Jährigen gefunden wurde, habe sich als falsch erwiesen, sagte ein Sprecher der Polizei Waiblingen. Derzeit gebe es deshalb keine Hinweise, dass Tim K. die Nachricht tatsächlich auf seinem Computer geschrieben habe. In einem Internet-Forum hieß es: "Ich meine es ernst, Bernd - ich habe Waffen hier, und ich werde morgen früh an meine frühere Schule gehen und mal so richtig gepflegt grillen." Weiter habe es geheißen: "Merkt Euch nur den Namen des Orts: Winnenden." dpa

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