Spielhallen erobern das Land

Saarbrücken. Der Name Spielhölle kommt nicht von ungefähr. Die Billigheimer-Anmutung vieler Spielhallen löst - unabhängig von der sozialen und der Suchtproblematik - seit jeher Abwehrreflexe in den Stadträten aus. Seit Anfang des Jahres hat sich das Unbehagen potenziert. Bundesweit melden die Kommunen einen Nachfrage-Boom von bis zu 50 Prozent

 Wo Leerstand ist, wie hier in der Saarbrücker Eisenbahnstraße, ziehen immer häufiger Spielhallen ein - und zahlen für die Räumlichkeiten hohe Mieten. Foto: Maurer

Wo Leerstand ist, wie hier in der Saarbrücker Eisenbahnstraße, ziehen immer häufiger Spielhallen ein - und zahlen für die Räumlichkeiten hohe Mieten. Foto: Maurer

Saarbrücken. Der Name Spielhölle kommt nicht von ungefähr. Die Billigheimer-Anmutung vieler Spielhallen löst - unabhängig von der sozialen und der Suchtproblematik - seit jeher Abwehrreflexe in den Stadträten aus. Seit Anfang des Jahres hat sich das Unbehagen potenziert. Bundesweit melden die Kommunen einen Nachfrage-Boom von bis zu 50 Prozent. "Wir werden bombardiert mit Anträgen", sagt auch Neunkirchens Oberbürgermeister Jürgen Fried (SPD). Zur Zeit gebe es drei Anfragen pro Woche. Fried ist nicht allein. Auch Saarbrücken, wo es bereits 43 Hallen gibt, meldet seit Beginn des Jahres 13 Anfragen - ein Hinweis darauf, dass der Dauer-Aufwärtstrend mittlerweile galoppiert. Im Saarland stieg die Zahl der gewerblichen Spielhallen von 2006 bis heute auf 163, um 26 Prozent (Bund: 20 Prozent), die Zahl der Automaten auf 1780 - ein Plus von 55 Prozent (Bund: 48 Prozent). Hinzu kommen aktuell 1620 Geräte in Gastro-Betrieben, wobei dort ein zwölfprozentiger Rückgang ausgemacht wird. Soweit die Zahlen, die die Sporttoto Gmbh meldet, unter Berufung auf die aktuelle Erhebung des Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V.

Doch während in Berlin die Bezirke gegen die "moderne Plage" Sturm laufen und in Niederursel gar eine erste Bürgerinitiative das Kampffeld betreten hat, steckt der Widerstand im Saarland noch in den Anfängen. Er ist freilich bereits im Städte- und Gemeindetag Thema. "Die großen Player reißen sich um die Räumlichkeiten. Die Anfragen sind in allen Kommunen massiv geworden", so schildert Präsident Klaus Lorig (CDU) die Situation. Als Oberbürgermeister hat er in Völklingen Konsequenzen gezogen. Im Sanierungsgebiet Innenstadt darf sich laut Stadtratsbeschluss keine Spielhalle mehr ansiedeln. In Saarbrücken wurde das Eurobahnhof-Areal gesperrt. Doch auf der grünen Wiese akzeptiert man die Hallen, in Völklingen jüngst gleich drei. Warum? Ein generelles Verbot ist nicht möglich. Spielhallen sind Vergnügungsstätten und unterliegen der Baunutzungsverordnung. Dies bedeutet, dass sie nur in Industriegebieten und in Wohngebieten generell ausgeschlossen sind. In Gewerbegebieten haben Kommunen Ermessensspielräume, nur im Kerngebiet, sprich der Innenstadt, sind sie grundsätzlich zulässig - es sei denn, ein Rat ändert die Bebauungspläne. Doch das ist langwierig und teuer. OB Lorig beziffert die Kosten pro Plan auf 150 000 bis 200 000 Euro: "Wir kommen nicht mehr nach mit dem Reglementieren." Neunkirchen hat davor keine Scheu. Dort wurde eine Art planungsrechtlicher Feldzug gestartet - über Bebauungspläne, Veränderungssperren, Stellplatz-Auflagen.

"Dass alle so verfahren, wäre wünschenswert", sagt Michael Burkert, Geschäftsführer der staatlichen Saarland-Sporttoto GmbH. Er vertritt die "Guten" im "bösen" Geschäft. Denn seine Spielbanken garantieren im Gegensatz zur privaten Konkurrenz eine lückenlose Zugangskontrolle, bieten Jugendschutz und schließen Suchtgefährdete aus. Vor allem aber führen sie 52 Prozent des Ertrages an das Land ab. Saar-Toto hat bereits 2008 ein Landes-Spielhallengesetz gefordert, das nur eine bestimmte Zahl von Spielgeräten pro Einwohner zulässt. Damals signalisierte das CDU-Innenministerium Unterstützung. Dabei blieb es. Nun fordert OB Fried eine Neuauflage, die Lorig innerhalb der Jamaika-Koalition skeptisch sieht, denn die für freien Wettbewerb eintretende FDP könnte mauern. Auch Saarbrückens Bürgermeister Kajo Breuer (Grüne) betont: "Teillösungen sind nicht sinnvoll, weil man die Betreiber nur in Nachbargemeinden abdrängt."

Doch woher rührt der Ansturm? Zum einen haben die Deutschen ein neues, unverkrampfteres Verhältnis zum Spiel entwickelt, dank Computer und Internet. "Entertainment" gilt als chic. Experten vermuten zudem einen Marktbereinigungskampf der Großen. Die sorgen schon mal vor. Denn bestehende Spielhallen genießen Bestandsschutz. Zudem hat das Saarland eine Sondersituation. Da in Frankreich Spielhallen verboten sind, zieht die Klientel über die Grenze.

An Boom-Szenarien will sich Dirk Lamprecht, Geschäftsführer der AWI Automaten-Wirtschafts-Verbände-Info GmbH nicht beteiligen. Er verkündet eine überraschende Botschaft: "Auch wir wollen, dass gesteuert wird. Wenn klar ist, wo und wie viele Betriebe zugelassen werden, lässt sich das Kundenpotenzial ermitteln und abschätzen, wie die Mitbewerber aussehen." Lamprecht hält die Klagen der Kommunen ob eines vermeintlich zu schwachen rechtlichen Verhinderungs-Instrumentariums für vorgeschoben: "Man müsste nur das Baurecht voll ausschöpfen. Es ist ein Vollzugsproblem." "Wir kommen

nicht mehr nach mit

dem Reglementieren."

Klaus Lorig, Präsident des Saar-Städte- und Gemeindetages

Landesgesetz kann helfen

Von SZ-Redakteurin

Cathrin Elss-Seringhaus

Es gibt keinen Grund zur Panik. Aber für hartnäckige Prävention. Das Saarland liegt, was die Spielgerätedichte angeht, im Bundesvergleich nicht an der Spitze. Hierzulande teilen sich mehr - nämlich 578 - Einwohner einen gewerblichen Automaten als im Bundesschnitt (470). Doch der eigene Augenschein genügt, um festzustellen: Das Spiel-Gewerbe hat sich viel Platz rausgeboxt in den Städten. Und wer weiß, wie es aussähe, hätten manche Kommunen nicht bereits vor Jahren gegengesteuert? Es wird Zeit, dass alle wach werden. 400 000 Spielsüchtige in Deutschland sprechen eine klare Sprache. Die gehen nicht alle auf das Konto der Privat-Spielhallen. Jedoch "zahlen" staatliche Casinos für den Sozial-Schaden. Immense Abgaben fließen zurück in sportliche oder kulturelle Projekte. Warum Verschärfungen nicht auch für Privat-Anbieter möglich sind oder warum der Bund gewerbliche Spielhallen nicht ganz verbietet, mag ein Geheimnis der Berliner Lobbyisten bleiben. Die Kommunen können die Landesregierung jedoch in die Pflicht nehmen. Sie sollten auf die Umsetzung der Zusage von 2008 dringen, ein Landes-Spielhallengesetz zu erlassen.

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