SPD „Happy Katarina“ und die geplatzte Hoffnung Merz

Berlin · Viele in der SPD hätten sich einen anderen CDU-Chef gewünscht – um das eigene Profil schärfen zu können. Dafür feiert die Partei eine neue Sympathieträgerin.

  Katarina Barley wurde mit 99 Prozent zur SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl gewählt.

Katarina Barley wurde mit 99 Prozent zur SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl gewählt.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Es spricht nicht gerade für das Selbstbewusstsein der SPD, dass die Hoffnung auf einen Aufschwung zuletzt den Namen eines Christdemokraten trug: Friedrich Merz. Mit ihm als CDU-Vorsitzenden hofften viele, das Profil in der großen Koalition durch mehr Streit schärfen zu können. Es hatte was von Klassenkampf, als zum Beispiel SPD-Vize Ralf Stegner die Frage aufwarf, „ob in Deutschland Millionäre aus der Finanzindustrie politische Ämter in Volksparteien anstreben“ sollten. Dabei verdienen auch einige Genossen wie Gerhard Schröder prächtig jenseits der Politik. Man sehnte sich aber nach einem klar greifbaren Gegner.

Nun ist es anders gekommen – und eine der ersten, die Annegret Kramp-Karrenbauer auf Twitter gratulierten, war SPD-Chefin Andrea Nahles. Sie sprach von „großen Fußstapfen“, in die Angela Merkels Nachfolgerin hineintrete.

Merkel war 18 Jahre CDU-Chefin, bei Nahles wetten derzeit nur wenige darauf, dass sie 18 Monate schafft. Ein Bundestagsabgeordneter spricht von teils gespenstischen Szenen in Sitzungen, wenn Nahles kaum Applaus bekommt. Zugleich wird es als unfair kritisiert, dass alle Schuld für den Umfrageabsturz auf 14 Prozent bei ihr abgeladen wird. Die herumkrebsende SPD ist verunsichert bis verzweifelt.

Sicher, mit Kramp-Karrenbauer wird es wahrscheinlicher, dass die große Koalition hält. Aber spätestens die Europawahl Ende Mai wird für Nahles zur Wegscheide. Sie ist die erste Vorsitzende der SPD; aber während die CDU, der man gerne fehlende innerparteiliche Demokratie vorwarf, im Rennen um Merkels Nachfolge erblühte und in Umfragen wieder auf 30 Prozent kletterte, verdankt Nahles ihren Vorsitz einer Absprache im kleinen Zirkel, etwa mit Olaf Scholz. Und ihre Partei schleppt sich bei 14 Prozent dahin.

Wer im Gegensatz zu Nahles als Hoffnungsträgerin gefeiert wird, ist Katarina Barley. Die Bundesjustizministerin kommt bei ihrer gestrigen Bewerbungsrede auf dem kleinen SPD-Parteitag in Berlin zunächst kaum zu Wort. Der Applaus will nicht enden. Als sie endlich anfangen kann, impft sie der Partei neuen Mut ein. Die knapp 200 Delegierten belohnen es: Mit 99 Prozent wird Barley zur Spitzenkandidatin für die Europawahl Ende Mai gewählt. „Wir stehen am Scheideweg“, sagt sie mit Blick auf die nationalistischen Bewegungen in Europa. Barley (50) hat ein sonniges Gemüt, wird als „Happy Katarina“ gefeiert – am Freitag war bei einer Gala Hollywoodstar Richard Gere so von der SPD-Justizministerin angetan, dass er spontan Händchen mit ihr hielt. „Ich trage Europa bei mir in jeder Form, in meinem Herzen sowieso, aber auch in meiner Handtasche“, sagt sie mit Blick auf ihre zwei Pässe. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Brite.

Sie ruft ihre Partei zu einem „geilen“ Wahlkampf auf. „Europa ist die Antwort“ lautet das Motto. Ein europäischer Mindestlohn, mehr soziale Absicherung, die Menschen mehr in den Fokus nehmen – damit sollen Europafeinde und rechte Hetzer in die Schranken gewiesen werden.

Barley wird ihr Amt zur Wahl am 26. Mai abgeben und nach Brüssel wechseln – ihre Aufgabe dort ist noch völlig unklar, vielleicht Fraktionschefin im Europaparlament. Denn sie ist „nur“ die nationale Spitzenkandidatin – Spitzenkandidat aller europäischen Sozialdemokraten ist der Niederländer Frans Timmermans.

In der SPD fordern einige als Signal an junge Wähler eine noch stärkere Einbindung von Juso-Chef Kevin Kühnert – seine Vizechefin Delara Burkhardt (26) steht auf Listenplatz fünf und wird wohl in das Europaparlament einziehen. Nahles größter Verbündeter ist im Moment die Angst vor einem Debakel bei einer Neuwahl – und der Mangel an Interessenten für den Parteivorsitz. Als bestgeeigneter Kandidat fällt immer wieder der Name des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil.

Es gibt im Prinzip gerade zwei sozialdemokratische Parteien – die Regierungs-SPD von Scholz, die Spaß am Regieren hat und erleichtert die Wahl Kramp-Karrenbauers zur CDU-Chefin zur Kenntnis genommen hat, weil „AKK“ mit Kanzlerin Merkel gut harmonieren dürfte. Und dann ist da die frustrierte Basis-SPD, die sich eher Merz wünschte, um wieder klarer Unterschiede herausstreichen zu können. Viel wird nun von den nächsten Wochen abhängen – auch ob Barleys Sympathien ein wenig auf Nahles abstrahlen.

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