So schlimm wie damals bei Al Capone

Chicago · In Chicago wurde schon Blut vergossen, als dort noch Al Capone lebte. 2016 stieg die Gewaltrate nun aber drastisch an. Täglich gab es mehr als zwei Morde. Dabei gelten im Bundesstaat Illinois relativ strenge Waffengesetze.

In Chicago hat das neue Jahr so begonnen, wie das alte endete: mit Schüssen, Toten und Verletzten. In der Neujahrsnacht erschossen sich zunächst zwei Männer gegenseitig. Wenige Stunden später schossen Polizisten einen Autofahrer an, der ein Stoppschild überfahren hatte. Am Montag tötete ein Polizeibeamter außer Dienst einen unbewaffneten Mann nach einem Streit. Traurige Routine in Chicago , einer Stadt, die wegen grassierender Gewalt derzeit für Schlagzeilen sorgt. Die Stadt, in der einst Gangsterkönig Al Capone seine Killer dirigierte, findet keinen Ausweg aus der Spirale aus Armut, Hoffnungslosigkeit und Gewalt . Ausgerechnet hier will der scheidende Präsident Barack Obama kommende Woche seine Abschiedsrede halten.

Banden bekriegen sich

Insgesamt 762 Menschen wurden im vergangenen Jahr in Chicago bei gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet, das waren 58 Prozent mehr als 2015 und die höchste Zahl seit den Crack-Kriegen auf den Straßen in den 1990er Jahren.

Bandenkriminalität spielt eine Hauptrolle: 90 Prozent der Opfer der Gewalt sind laut Polizei als Bandenmitglieder oder Vorbestrafte bekannt. Michael Pfleger, ein Pastor in einem der Krisengebiete auf der South Side, sprach gegenüber dem Sender CBS von insgesamt 59 Banden, die sich gegenseitig bekriegen. Vor kurzem sei er an einem einzigen Tag von drei Familien wegen der Beisetzung von Angehörigen angesprochen worden, die bei Schießereien ums Leben gekommen seien. "Das habe ich in meinen 41 Jahren hier noch nie erlebt."

Dabei gelten in Chicago und in Illinois relativ strenge Waffengesetze . Das Problem ist nur, dass viele Waffen aus benachbarten Bundesstaaten in die Gegend kommen, denn für viele Menschen in den Problemzonen der Stadt sind Waffen wichtig zum Überleben. Es gibt kaum Jobs und kaum Zukunftsperspektiven. Die Arbeitslosigkeit unter den Afro-Amerikanern in Chicago liegt bei 14,2 Prozent - das ist fast doppelt so hoch wie der landesweite Durchschnitt von rund acht Prozent für diese Bevölkerungsgruppe. Und auch dieser ist weit höher als die allgemeine US-Arbeitslosenrate von 4,9 Prozent.

Verschlimmert wird die Lage durch eine Polizei-Misere. Seit ein Beamter im Oktober 2014 einen jungen Schwarzen mit 16 Schüssen regelrecht hinrichtete, stehen die Sicherheitskräfte bei vielen unter Generalverdacht. Das "Wall Street Journal" notierte, die Gewalt habe in dem Maß zugenommen, wie sich die Polizei unter dem Eindruck der öffentlichen Kritik von den Straßen zurückgezogen habe.

Bürgermeister Rahm Emmanuel, ein früherer enger Berater von Obama, will die Polizeitruppe um tausend auf 13 000 Beamte verstärken, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Ob das die Wende bringt? Zuallererst müsse bei den Menschen in der Stadt wieder die Hoffnung auf ein besseres Leben einkehren, ist William Sampson von der DePaul-Universität in Chicago überzeugt. "Wenn du ein Nichts bist, hast du auch nichts zu verlieren", sagte Sampson der "Chicago Tribune" kurz vor Jahreswechsel. "Nur mit einer Pistole kannst du jemand werden."

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