Signale aus Moskau und der Anwalt der Demokratie

Saarbrücken. "Moskau sagt Ja zu einem vereinten Deutschland". In großen Buchstaben stand quer über die Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom 17. Juli 1990 die Sensation. Das Land, das genau 45 Jahre zuvor bei der Potsdamer Konferenz in vier Teile gerissen wurde, sollte wieder eins sein

 Der Schriftsteller Heinrich Böll im Jahr 1972. Foto: dpa

Der Schriftsteller Heinrich Böll im Jahr 1972. Foto: dpa

Saarbrücken. "Moskau sagt Ja zu einem vereinten Deutschland". In großen Buchstaben stand quer über die Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom 17. Juli 1990 die Sensation. Das Land, das genau 45 Jahre zuvor bei der Potsdamer Konferenz in vier Teile gerissen wurde, sollte wieder eins sein. Unvorstellbar: Der ehemalige Kreml-Chef Michail Gorbatschow garantierte Deutschland "volle Souveränität". Das schnelle Einlenken des sowjetischen Staatspräsidenten überraschte damals weltweit. Die SZ indes hörte bereits einen Tag zuvor erste "Signale aus Moskau", berichtete von einer "Entspannung neuer Art im Verhältnis von Bonn und Moskau". Am Ende stand fest: Ost- und West-Deutschland verbinden sich zu einem Einheitstaat.In der gleichen Kalenderwoche, allerdings 57 Jahre zuvor, wurde die 1918/1919 begonnene Etablierung einer parlamentarischen Demokratie (Weimarer Republik) jäh gestoppt. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (Januar 1933) verabschiedeten die Nationalsozialisten am 14. Juli 1933 ein Gesetz, das "die Neubildung von politischen Parteien unter Strafe stellt". Nur diese eine Information stand auf der Titelseite der SZ. Das Blatt war damals schon in der Propaganda-Maschinerie der Nationalsozialisten gleichgeschaltet. "Der Parteienstaat gehört endgültig der Vergangenheit an und wird nie wieder von den Toten auferstehen", erklärte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels den SZ-Lesern drei Tage später. Alle Parteien außer der NSDAP waren von nun an verboten. Nun würde die ganze Welt "Hitlers Willen zum Frieden" erkennen. Den, so zeigte es die Geschichte, gab es nicht. Stattdessen war für die Nazis der Weg frei, die ganze Welt mit Terror und Tod zu überziehen.

Von diesem dunklen Kapitel wollten die Deutschen in der Nachkriegszeit (nach 1945) zunächst nichts mehr wissen. Insbesondere von ihrer "Mitschuld", wie Schriftsteller Heinrich Böll in seinen Werken niemals müde wurde zu beklagen, hieß es in der SZ am 17. Juli 1985. Der Schriftsteller aus dem Rheinland starb einen Tag zuvor. Er sei nicht weniger als "der Anwalt der deutschen Demokratie" gewesen, der wie kein Zweiter entschlossen war, "mit denen zu rechten, die Mitschuld tragen".

Böll beschäftigte sich am Ende seines Schaffens mit der Roten Armee Fraktion (RAF). Er versuchte zu verstehen, "was in diesen Kindern aus bürgerlichem Haus vorging", ohne "ihr mörderisches Vorgehen" zu entschuldigen. Die linksextremistische Baader-Meinhof-Gruppe stellte die Rolle ihrer Eltern im Dritten Reich, den Kapitalismus, bürgerliche Lebensformen und letztlich auch die demokratische Grundordnung infrage. Ihr Mittel zum Zweck: Waffengewalt. 34 Menschen ermordete die RAF. Die Folge: Der deutsche Rechtsstaat musste sich erst einmal in seiner noch jungen Geschichte wehrhaft gegen Terroristen verteidigen. Bei einer "Großrazzia gegen die Meinhofgruppe", titelte die SZ am 16. Juli, ging sie mit "ungewöhnlicher Bewaffnung" gegen die Linksextremisten vor. Bei einem "Feuergefecht" wurde Petra Schelm, eine 20-jährige RAF-Aktivistin, durch "zahlreiche Kugeln aus Maschinenpistolen" getötet. Das Blatt kritisierte die Polizeiaktion nüchtern als "Misserfolg", sollte sie doch mit einem Großaufgebot an Beamten den "harten Kern" der RAF um Ulrike Meinhof dingfest machen. Gefasst hatten sie lediglich Schelms Begleiter, Werner Hoppe (22, ebenfalls RAF). Entscheidender für SZ-Kritik war, wie die Polizei auf die misslungene Fahndung reagierte: mit einer "totalen Nachrichtensperre".

Was in dieser Woche noch geschah:• 16. Juli 1918: Die Zarenfamilie wird in Jekaterinburg umgebracht. • 17. Juli 1954: Angela Merkel wird in Hamburg geboren. • 15. Juli 1965: Die US-Raumsonde Mariner 4 nimmt erste Bilder vom Mars auf. • 13. Juli 1977: Zehntausende plündern Geschäfte in New York nach einem Stromausfall.

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