„Siamesische Zwillinge“ getrennt im Zeugenstand

Zwei Männer, zwei Prozesse, ein gemeinsames Schicksal: Christian Wulff und sein einstiger Sprecher Olaf Glaeseker kämpfen seit Wochen gegen eine drohende Verurteilung. Dasselbe Gericht, derselbe Raum, dieselbe Staatsanwaltschaft: In unabhängigen Verfahren stehen zwei Männer wegen Korruptionsverdachts vor dem Landgericht Hannover, die mehr als ein Jahrzehnt als unzertrennliche Freunde galten.

Morgen soll Glaeseker im Wulff-Verfahren aussagen, am 10. Februar Wulff im Glaeseker-Prozess.

Auf dem Weg an die Macht waren sie wie siamesische Zwillinge. So hatte einst der damalige Bundespräsident Wulff die Freundschaft mit Glaeseker charakterisiert. Aus und vorbei: Knapp zwei Jahre haben sich beide nun bewusst gemieden. Noch weiß keiner, was der jeweils andere als Zeuge über ihn aussagen könnte. Glaeseker äußerte sich früher enttäuscht von seinem einstigen Dienstherrn, weil der sich in der Stunde der Bedrängnis von ihm distanziert hatte. Doch in einem "Spiegel"-Interview sagte er jetzt: "Ich habe ihm verziehen und gucke nach vorne."

Für Wulff lief sein Verfahren bisher nach Einschätzung von Beobachtern relativ günstig. Der Richter erwog schon eine Verkürzung des Prozesses - bis die Staatsanwaltschaft neue Zeugen benannte. Seine Aussage im parallel verlaufenden Glaeseker-Prozess enthält für den Ex-Bundespräsidenten nun jedoch neue Unwägbarkeiten. Gelingt es der Staatsanwaltschaft, ihn in diesem Prozess zu belasten, könnte es auch Rückkopplungen auf Wulffs eigenes Verfahren haben. Immerhin widersprach mittlerweile nicht nur Glaeseker, sondern auch Wulffs erste Ehefrau Christiane der Darstellung des Ex-Staatschefs, er habe von den problematischen Gratisurlauben seines früheren Sprechers beim befreundeten Partymanager Manfred Schmidt in Südeuropa nichts gewusst. Zurückhaltend, fast schüchtern sagte Christiane Wulff im Gericht als Zeugin: "Er muss es gewusst haben."

Bei Glaesekers Prozess ist eine Bewertung des Prozessausgangs nach sieben Verhandlungstagen weitgehend offen. Der talentierte Strippenzieher - von 2007 bis 2009 Sprecher der niedersächsischen Landesregierung, dann im Bundespräsidialamt - las seinem Dienstherrn stets die Wünsche von den Lippen ab, wie er selbst sagt. Ähnlich wie bei Wulff geht es auch bei Glaeseker um die Kernfrage, wo bei Amtsträgern Freundschaft endet und Käuflichkeit beginnt - eine Grauzone in einem Milieu aus Patronage und Gefälligkeiten, die nun vor Gericht ausgeleuchtet wird.

Stets unauffällig im Hintergrund agierend, galt Glaeseker als eine Art "Präsidentenmacher", der Wulff die Karriere ebnete. Konnte dem daher das engmaschige Flechtwerk aus Gefälligkeiten und Gefallen, in das sein langjähriger Vertrauter und Kommunikationschef verwoben war, wirklich verborgen bleiben? Die Staatsanwaltschaft ist skeptisch - und hat Wulff als Zeugen benannt. Er soll die alles entscheidende Frage beantworten, wie stark Glaeseker und Schmidt befreundet waren. Umgarnte Schmidt als Experte für elitäre Polit-Happenings den PR-Fachmann Glaeseker nur aus Freundschaft? Oder wurde er geködert als nützlicher Türöffner?

Seit Ende vorigen Jahres zeichnen Zeugen bei den parallel laufenden Prozessen jedenfalls ein faszinierendes Sittengemälde an den Schnittstellen von trockener Politik und glamourösem Showbiz. In beiden Verfahren galt ursprünglich der April als Zieldatum - nun ist das allerdings mehr als fraglich. Richterin Renata Bürgel kündigte an, dass sie im Glaeseker-Prozess weitere Zeugen vernehmen will - darunter Bosse von Unternehmen, die damals als Sponsoren bei der umstrittenen Prominenten- und Lobbyisten-Party "Nord-Süd-Dialog" auftraten.

Die Staatsanwaltschaft wirft Wulff vor, er habe sich wissentlich vom ebenfalls angeklagten Film-Financier David Groenewold einen Teil der Kosten für einen Oktoberfestbesuch 2008 in München zahlen lassen. Später warb Wulff bei Siemens für ein Filmprojekt Groenewolds. Diesem wird daher Vorteilsgewährung vorgehalten, Wulff Vorteilsannahme zu seiner Zeit als Niedersachsens Ministerpräsident. Beide bestreiten die Vorwürfe und verweisen auf ihre privaten Freundschaften.

Für die Richter wird es mitunter erkennbar schwierig, sich in die Lebenswelten der Angeklagten hineinzudenken. Das betrifft auch den Partymanager Schmidt. Der hat als Organisator der insgesamt drei Promisausen kräftig verdient. Nach sieben Prozesstagen schält sich das Bild eines weltmännisch auftretenden Machers heraus, der als menschlich schwierig, aber großzügig galt, und sich kaum um Buch- oder Personalführung kümmerte.

Je prominenter die Zeugen, desto größer wird auch die mediale Aufmerksamkeit. Sie dürfte in den kommenden Wochen weiter zunehmen. Etwa, wenn die ehemalige TV-Talkerin Sabine Christiansen kommt, um als Zeugin im Glaeseker-Prozess auszusagen. Auch Günther Oettinger wird erwartet. Baden-Württembergs früherer Ministerpräsident - heute EU-Kommissar - hatte einst zusammen mit Wulff die Idee zum "Nord-Süd-Dialog".

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