Sexismus oder nicht?Kein Pardon in den USA

Washington. Bill Clinton hätte es fast das Weiße Haus gekostet als seine Affäre mit der Praktikantin Monika Lewinsky aufflog. Selbst vielen seiner Anhänger ging es zu weit, wie Clinton sein Amt benutze, um die sexuelle Aufmerksamkeit der jungen Frau zu erhalten. Schließlich bestand zwischen den beiden ein unübersehbares Abhängigkeitsverhältnis

 Fast jeder dritte Mann hat im Berufsleben schon selbst Sexismus erlebt. Foto: May/dpa

Fast jeder dritte Mann hat im Berufsleben schon selbst Sexismus erlebt. Foto: May/dpa

Washington. Bill Clinton hätte es fast das Weiße Haus gekostet als seine Affäre mit der Praktikantin Monika Lewinsky aufflog. Selbst vielen seiner Anhänger ging es zu weit, wie Clinton sein Amt benutze, um die sexuelle Aufmerksamkeit der jungen Frau zu erhalten. Schließlich bestand zwischen den beiden ein unübersehbares Abhängigkeitsverhältnis.

Die Gesetze stellen klare Kriterien auf, wann die Grenzen zwischen romantischer Annäherung und unerwünschten sexuellen Avancen überschritten sind. Wenn im Gegenzug für eine Gehaltserhöhung, Beförderung oder sonstige berufliche Vergünstigung eine sexuelle Gefälligkeit erwartet wird, liegt ein Fall von Belästigung vor. Grabschen, der Klaps auf den Hintern oder das Zeigen pornografischer Bilder konstituieren ein "feindliches Arbeitsumfeld".

Wie schwierig im Einzelfall zu bestimmen ist, macht der Fall von Clarence Thomas klar. Der einzige Afro-Amerikaner im obersten Gericht der USA scheiterte 1991 fast im Bestätigungsverfahren vor dem US-Senat, weil seine frühere Untergebene, Anita Hill, ihm sexuelle Belästigung vorhielt. Während der Anhörungen schaffte es der schwarze Jurist, genügend Senatoren von seiner gegenteiligen Sicht der Dinge zu überzeugen.

Im Arbeitsalltag der Amerikaner befasst sich die "US Equal Employment Opportunity Commission" mit Diskriminierung und Übergriffen in Unternehmen. Allein im vergangenen Jahr registrierte die Behörde 11 364 Beschwerden. Andere Betroffene gehen direkt vor Gericht gegen Sexismus vor. Mitsubishi musste Ende der 90er Jahre 34 Millionen Dollar an weibliche Beschäftigte zählen, die über Sexismus in den US-Fabriken geklagt hatten. Aufgrund der hohen Forderungen vor Gericht stellen Behörden und Firmen eigene Verhaltensregeln auf. Extreme Beispiele wie der Ratschlag an Männer, nicht alleine mit Kolleginnen in den Aufzug zu steigen, sind aber die Ausnahme. spa

Kassel. Charlotte Thiele lacht. "Wenn mein Chef sowas sagen würde... Er hat meinen Busen bemerkt, na und?", sagt die 54 Jahre alte Angestellte der Bäckerei Lange in Kassel. Und wenn ihr ein Kollege einen Klaps auf den Po gäbe, bekomme er einen zurück, betont sie. "Ich find's albern, sich darüber aufzuregen." In der Sexismus-Debatte schütteln viele Menschen den Kopf - die einen, weil sie die Äußerungen von FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle für plump und sexistisch halten, die anderen, weil sie die Aufregung über einen flapsigen Spruch nicht verstehen können. Aber was darf man(n) noch? Und was wagt man(n) noch?

"Ein Mann kann leicht in die Sexismusfalle tappen", sagt Sexualforscher Professor Harald A. Euler (69) von der Universität Kassel. Ein Flirt auf Augenhöhe falle meist nicht darunter, in anderen Situationen sei eine Grenze schnell überschritten. Doch auch beim Flirt fängt das Problem schon an. In Studien sei nachgewiesen worden, dass Männer viel öfter als Frauen denken, es gehe in Gesprächen um Sex, so Euler. "Das passiert ständig beim Austausch zwischen Mann und Frau."

Wenn Männer die Frauen kaum einschätzen können und ein Blick als sexistisch gewertet werden kann, führt das dazu, dass Männer zurückhaltender werden. Ob Apotheker, Friseur oder Metzger - kaum jemand will sich zum Thema äußern. "Die Sensibilität ist momentan deutlich höher. Zwei falsche Worte und gleich gibt's einen hinter die Ohren", sagt Karsten Wetzel vom gleichnamigen Optikergeschäft in Kassel. Natürlich gebe es Grenzen, "aber einer schönen Frau hinterherzupfeifen, ist doch ein Kompliment und nicht sexistisch". Die Debatte werde viel zu überspitzt diskutiert. "Mich ärgert der Berliner Flughafen mehr." Auch Reisebüro-Geschäftsführer Joachim Haub macht sich Gedanken. "Als Mann ist es immer weniger, was man sich erlauben darf." Für ihn fange sexuelle Belästigung an, "wenn man jemand anfasst".

Sexualforscher Euler bedauert die aufkommende Zurückhaltung der Männer. "Frauen beklagen sich dann auch: "Wo sind die echten Männer hin?" oder "Männer trauen sich nicht mehr, Frauen anzusprechen"." Das sei natürlich kein Freifahrtschein für sexistische Anmachen, betont er, erwartet aber auch in Deutschland ähnliche Entwicklungen wie in den USA, wo Männer viel leichter wegen sexistischer Äußerungen verklagt werden können. "Ich denke nicht, dass das so gut ist." Eulers Konsequenz: "Ich mache in den USA keine Komplimente mehr."

Eine neue Sichtweise auf die deutsche Sexismus-Debatte bringt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Sie bringt die Männer als Opfer sexistischer Anmache ins Spiel. 28 Prozent der männlichen Befragten gaben an, sie seien "einmal" oder "gelegentlich" mit Anzüglichkeiten konfrontiert gewesen. Drei Prozent sagten, dies sei "schon oft" der Fall gewesen. Bei den befragten Frauen waren die Zahlen mit 48 beziehungsweise sieben Prozent allerdings klar höher.

Professor Euler mahnt auch, die betroffene "Stern"-Journalistin habe das Gespräch mit dem heute 67 Jahre alten Brüderle mit der Frage begonnen, ob dieser nicht zu alt für das Amt des Parteivorsitzenden sei. Das ist für Euler Altersdiskriminierung. "Sie hat damit ebenfalls eine Grenze überschritten." Das könne als Angriff auf die Ehre betrachtet werden, betonte Euler. "Aber das wird nicht diskutiert." Noch nicht?

Hintergrund

Werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, verachtet oder unterdrückt, spricht man von Sexismus. Oft wird der Begriff als Synonym für die sexuelle Belästigung von Frauen verwendet. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) liegt eine Belästigung vor, wenn unerwünschte Verhaltensweisen - wie anrüchige Bemerkungen - die Würde einer Person verletzen. Gehen Äußerungen über Taktlosigkeiten hinaus, kann das geahndet werden. Empfindet die Betroffene das Vergehen als Beleidigung und wird dieses Dritten bekannt, drohen eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft. dpa

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