Selters statt Sekt

Schon seit dem Nachmittag sitzen die Führungsleute der Sozialdemokraten im zweiten Stock des Berliner Willy-Brandt-Hauses zusammen. Doch was da intern an demoskopischen Zwischenständen für den Wahlausgang kursiert, sorgt für Ernüchterung.

 Applaus für den „Pfundskerl“: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat die schwarz-gelbe Koalition „vom Platz gefegt“. Aber damit nur ein Teilziel erreicht. Er wollte die Sozialdemokraten zurück an die Spitze führen. Seine Zukunft ist ungewiss. Foto: Marc-Steffen Unger

Applaus für den „Pfundskerl“: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat die schwarz-gelbe Koalition „vom Platz gefegt“. Aber damit nur ein Teilziel erreicht. Er wollte die Sozialdemokraten zurück an die Spitze führen. Seine Zukunft ist ungewiss. Foto: Marc-Steffen Unger

Foto: Marc-Steffen Unger

"Die Sektkorken knallen nicht", sagt Vorstandsmitglied Ralf Stegner zu ein paar Journalisten im proppenvollen Atrium der Parteizentrale in der Bundeshauptstadt noch vor der offiziellen Schließung der Wahllokale. Um Punkt 18 Uhr herrscht darüber auch beim großen Rest Gewissheit: Die SPD hat zwar leicht zugelegt, aber mit ungefähr 26 Prozent fährt sie das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte ein. Kommt jetzt die große Koalition? Oder am Ende doch die Opposition? Um diese Fragen kreisen die Gespräche, als die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme geflimmert sind.

Die Szene hat etwas Zwiespältiges: Aus einiger Entfernung sieht es eher nach Volksfest aus. Einige Tausend Gäste sind gekommen, um den Wahlabend "live" mitzuerleben. Vor dem Willy-Brandt-Haus sind zahlreiche Bänke und Tische aufgestellt. In einem großen Zelt steht man in Gruppen zusammen. Daneben wird Bier verkauft. Es gibt Currywurst und Gemüsepfanne. Eng ist es und laut. Wer jedoch in die Gesichter der Genossen schaut, der kann darin Ungläubigkeit, ja Fassungslosigkeit entdecken. Unter Schwarz-Rot habe er "gelitten wie ein Hund", stöhnt Frank Hofmann. Er saß seit 1994 für die SPD im Bundestag und ist nicht noch einmal angetreten. "Soll die Merkel doch sehen, wie sie jetzt zu einer Mehrheit kommt", schiebt Hofmann noch enttäuscht hinterher. Dieser Tenor setzt sich auch in den Statements der Parteioberen fort. Sie habe sich einen "höheren Zuwachs erhofft", aber jetzt sei "Frau Merkel am Zug", erklärt Generalsekretärin Andrea Nahles im Interview mit der ARD.

Dann verstummen die Fernseher plötzlich. Im Atrium kommt Hektik auf. Die erste Riege der SPD betritt die Bühne. Hannelore Kraft ist dabei, Frank-Walter Steinmeier und natürlich Sigmar Gabriel sowie Peer Steinbrück. Da brandet Riesen-Applaus auf. Soviel Jubel herrschte vorher nur, als klar wurde, dass die FDP wohl nicht mehr in den Bundestag kommt. Parteichef Gabriel lobt Steinbrück in den höchsten Tönen. Einen "fantastischen Wahlkampf" habe der Kanzlerkandidat gemacht, und ein "Pfundskerl" sei er. Steinbrück ist sichtlich gerührt. Aber es ist eben auch so etwas wie seine Abschiedsvorstellung. Zwar wurde Schwarz-Gelb "vom Platz gefegt", wie Steinbrück süffisant anmerkt. Aber zu Rot-Grün hat es ganz klar nicht gelangt. Und nur dafür stand Steinbrück. "Wir haben nicht das Ergebnis erzielt, das wir wollten", räumt er ein. Und nun? "Die Lage ist sehr unklar, deshalb wird die SPD heute gut daran tun, keinen Spekulationen nachzugeben, wie eine Regierungsbildung aussehen könnte", so Steinbrück.

Womöglich wird die SPD auch gar nicht für eine Regierung gebraucht. Über die Bildschirme flimmern später Rechenspiele für eine absolute Mehrheit der Union. Und wenn es doch auf eine große Koalition hinausläuft, dann will die SPD zumindest den Preis dafür hochtreiben. Die Partei-Linken haben dazu bereits angeblich unumstößliche Forderungen aufgelistet: Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung des Betreuungsgeldes. Darüber will der Parteilinke Ralf Stegner jetzt aber nicht reden. "Es wird ein langer Wahlabend werden", sagt Stegner nachdenklich.

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