Seehofer schwört die CSU auf die Zukunft ein "Ich bin kein Racheengel - weder Engel noch Rache"

München/Berlin. Das geistliche Wort zu Beginn ist eine Spezialität von CSU-Parteitagen. Am Samstag in München konnten es die Christsozialen besonders gut gebrauchen, denn viele der rund 1000 Delegierten waren nach der Wahlniederlage vom 28. September und den Rücktritten von Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber höchst aufgewühlt angereist

München/Berlin. Das geistliche Wort zu Beginn ist eine Spezialität von CSU-Parteitagen. Am Samstag in München konnten es die Christsozialen besonders gut gebrauchen, denn viele der rund 1000 Delegierten waren nach der Wahlniederlage vom 28. September und den Rücktritten von Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber höchst aufgewühlt angereist. Der evangelische Kirchenrat Dieter Breit sagte in seiner Predigt, entscheidend bei der Bewältigung einer Krise sei, ob aus einer Demütigung auch Demut erwachse. Ob man auch zur Selbstkritik bereit sei oder nur Sündenböcke suche. Das mit der Demut klappte anschließend. Das mit den Sündenböcken nicht.

Den ersten Eklat gab es gleich zu Beginn. Als die scheidende CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer den Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber begrüßte, gab es mehr Pfiffe und Buhrufe als Beifall. Vor allem aus dem fränkischen Block. So etwas war noch nie vorgekommen. Der als Parteivorsitzender wie als Finanzminister zurückgetretene Erwin Huber hielt eine ehrliche Rede und wurde emotionslos verabschiedet. Dafür feierten die Delegierten Günther Beckstein so enthusiastisch, dass dem die Tränen in die Augen schossen. Einige erklärten am Rednerpult gar, sie wollten dass er im Amt bleibe. Als ob die Entscheidung für Horst Seehofer nicht längst gefallen war.

Die Partei präsentierte sich noch immer tief verstört von den Ereignissen. "Wir von der Basis wurden nicht mehr gehört und nicht mehr ernst genommen", schimpfte ein Delegierter über die Oberen. "In mir kocht es", bekannte ein anderer. Vor allem das bayerische Rauchergesetz wurde immer wieder kritisiert. Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Huber sagte, er verstehe nicht, warum Berlin vor der Wahl Steuersenkungen abgelehnt, aber kurz danach ein Neun-Milliarden-Entlastungspaket beschlossen habe. "Wir hätten uns mehr Unterstützung von der CDU gewünscht."

Horst Seehofer hatte alle Mühe, den Blick der Delegierten nach vorn zu richten. Auf der Tagesordnung stand der in großer Hektik mit der FDP ausgehandelte Koalitionsvertrag, also das Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre. Doch das Papier wurde geschäftsmäßig durchgewinkt. Seehofer, der das Treffen unter das Motto "Im Dienst für die Menschen" gestellt hatte, versuchte die Delegierten darauf einzuschwören, dass die CSU wieder lernen müsse, den Menschen zuzuhören. Sie müsse auch innerparteilich offener diskutieren. "Mich hat die Debatte hier deshalb überhaupt nicht gestört", sagte er. Das gefiel vielen, ebenso wie sein harter Kurs gegenüber der Bundes-CDU. "Mein Arbeitsplatz wird München sein, aber meine Kampfkraft wird sich auch auf Berlin erstrecken", kündigte er an.

Bei der Erbschaftssteuer will Seehofer konsequent bleiben: Selbstgenutzte Eigenheime müssten von der Steuer befreit bleiben, ebenso Betriebe, die weitergeführt werden. Er rate der CDU mit Blick auf die kommenden Wahlen, die Stammwählerschaft "nicht durch überzogene Kompromissbereitschaft mit der SPD zu enttäuschen".

Dafür bekam er viel Beifall, aber bei der Wahl zum neuen CSU-Chef trotzdem nur 90,3 Prozent der Stimmen. In etlichen Bezirksverbänden gibt es weiterhin Vorbehalte gegen den neuen Vormann. Sie sind auch landsmannschaftlicher Natur. Das bekam CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer zu spüren, der als Oberbayer bei der Wahl zum stellvertretenden CSU-Chef nur 67 Prozent der Stimmen erhielt. Am heutigen Montag muss sich Seehofer im Landtag schon der nächsten Wahl stellen, wenn er zum Ministerpräsidenten bestellt wird. Herr Ministerpräsident, Sie sind ja auf dem CSU-Sonderparteitag von den Delegierten, wenigstens von sehr vielen, regelrecht gefeiert worden. Was ging da in Ihnen vor?

Beckstein: Natürlich war das Ausdruck dessen, dass es Diskussionen gegeben hat, ob das Verfahren richtig gelaufen ist. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen und die ist richtig. Ich freue mich, dass dadurch deutlich wird, dass ich nicht wegen eines Skandals oder Verfehlungen zurückgetreten bin, sondern weil ich nicht das Wahlergebnis hatte, das wir wollten. Deshalb hatten Teile der Partei nicht mehr das erforderliche Vertrauen. Dass viele Teile der Partei trotzdem großes Vertrauen in mich haben, ist deutlich geworden. Darüber freue ich mich.

Es schien so zu sein, dass die Parteibasis Ihnen über alle Regionen hinweg mehr Vertrauen entgegenbringt als die Funktionärsebene. Sehen Sie das auch so?

Beckstein: Es hilft nichts, jetzt Überlegungen anzustellen, was wäre wenn. Ohne den Rückhalt der CSU-Landtagsfraktion und der CSU-Bezirksvorsitzenden kann man ein solches Amt nicht ausüben. Deshalb war es richtig, dass ich gesagt habe, ich stehe nicht mehr zur Verfügung.

Kürzlich haben Sie sich "massiv enttäuscht" über die Illoyalität eines Ihrer Kabinettsmitglieder geäußert. Aber es war doch nicht nur einer, der gesägt hat?

Beckstein: Vor Kollegen aus dem Kabinett, die mich persönlich angesprochen haben und gesagt haben, du solltest zurücktreten, oder die mir Kritik ins Gesicht gesagt haben, habe ich hohen Respekt. Eine andere Frage ist es, in einem autorisierten Zeitungszitat den Rücktritt des eigenen Kabinettschefs zu fordern. Das ist nicht die Loyalität, die ich mir gewünscht habe und die ich meinem Nachfolger wünsche.

Auch auf dem CSU-Sonderparteitag wurde sehr klar, dass durch die Ereignisse nach der Landtagswahl in der Partei landsmannschaftliche Gräben aufgerissen wurden, die sehr tief sind. Kann man diese wieder zuschütten?

Beckstein: Ich habe gesagt, es geht darum, dass es den Menschen in ganz Bayern besser geht. Wir dürfen uns nicht in Stämme oder Regionen aufsplitten. Wir müssen das Land insgesamt möglichst gut voranbringen. Es wird Seehofers Aufgabe sein, darauf zu achten. Auch ein aus Ingolstadt stammender Ministerpräsident weiß, welche Bedeutung die Franken und die Metropolregion Nürnberg haben.

Herr Dr. Beckstein, hinter Ihnen liegen lauter "letzte" Sitzungen: letzte Ministerratssitzung, letzte Landtagssitzung auf der Regierungsbank, letzter Parteitag als Ministerpräsident. Was empfinden Sie dabei?

Beckstein: Das bringt schon eine erhebliche Breite an Emotionen mit sich. Ich war 20 Jahre an führender Stelle in der Politik mit dabei, darunter 14 Jahre als Innenminister, sieben Jahre stellvertretender Ministerpräsident, ein Jahr als Ministerpräsident, außerdem zweimal im Kompetenzteam für die Bundesregierung. Das war eine tolle Zeit, und ich danke meiner Partei für zwei Jahrzehnte intensiver Unterstützung von Herzen.

Sie scheiden also nicht im Zorn?

Beckstein: Nein, nicht im Zorn, sondern mit Dankbarkeit für großartige Herausforderungen. Ich werde in den nächsten Jahren nicht mehr an führender Stelle, aber im Glied weiter für die Menschen in Bayern arbeiten.

Wollen Sie, wie das einem anderen ehemaligen Ministerpräsidenten nachgesagt wird, als "Racheengel" aus dem Hintergrund wirken?

Beckstein: Ich bin kein "Racheengel" - weder Engel noch Rache.

Genügt Ihnen die Rolle als einfacher Abgeordneter? Wie ist es mit politiknahen Ämtern - etwa bei der Hanns-Seidel-Stiftung?

Beckstein: Ich habe keine weiteren Ambitionen. Das Amt des frei gewählten Abgeordneten ist ein wichtiges Amt. Ich will mich für die Regionen in Bayern mit aller Energie einsetzen. Und wenn ich Kritik zu üben habe, werde ich das nicht in öffentlich-destruktiver Weise machen, sondern mithelfen, dass wir möglichst gut arbeiten.

Hintergrund

Die bayerische FDP will in der künftigen schwarz-gelben Koalition auf Augenhöhe mit der CSU regieren und für eine liberale Politik kämpfen. Das machten FDP-Landeschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der designierte Wirtschaftsminister Martin Zeil gestern bei einem FDP-Sonderparteitag in Ingolstadt deutlich. Die Delegierten billigten - wie bereits am Vortag die CSU - mit überwältigender Mehrheit den Koalitionsvertrag. Es gab lediglich eine Gegenstimme sowie vier Enthaltungen. Die FDP übernimmt in der neuen Regierung das Wirtschafts- und das Wissenschaftsministerium. Während Zeil Wirtschaftsminister wird, erhält der Münchner Zahnarzt Wolfgang Heubisch das Wissenschaftsressort. Wirtschafts-Staatssekretärin wird die Nürnbergerin Katja Hessel. Nachfolger Zeils an der Fraktionsspitze wird der Abgeordnete Thomas Hacker aus Oberfranken. Er soll nach der Vereidigung des neuen Kabinetts zum Fraktionschef gewählt werden. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort