Sechs Stunden Schweigen hinter Panzerglas

Dresden. Dieses Mal glich das Dresdner Landgericht einem Hochsicherheitstrakt: Zum Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder einer Ägypterin herrschten gestern strengste Sicherheitsvorkehrungen. Zuschauer, Anwälte und Journalisten mussten wie an Flughäfen durch Schleusen, Gürtel und Schmuck ablegen, Hosentaschen ausleeren und die Schuhe ausziehen

Dresden. Dieses Mal glich das Dresdner Landgericht einem Hochsicherheitstrakt: Zum Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder einer Ägypterin herrschten gestern strengste Sicherheitsvorkehrungen. Zuschauer, Anwälte und Journalisten mussten wie an Flughäfen durch Schleusen, Gürtel und Schmuck ablegen, Hosentaschen ausleeren und die Schuhe ausziehen. Scharfschützen beobachteten die Szenerie am und in dem Gebäude, in dem ein Russlanddeutscher am 1. Juli die 31-jährige schwangere Marwa El-Sherbini erstochen hatte. Damals konnte der 28-Jährige unbemerkt in einem Rucksack ein Messer mit zu der Verhandlung in das Justizgebäude in Elbnähe nehmen.

Erstaunlich groß war das ausländische Interesse am ersten Verhandlungstag. Unter Journalisten und Zuschauern saßen zahlreiche Vertreter ägyptischer Medien sowie aus islamischen Ländern stammende Menschen. Hinter einer Panzerglas-Trennscheibe im Schwurgerichtssaal folgten Ägyptens Botschafter Ramzy Ezzeldin Ramzy, der Präsident des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, und der Vater des Opfers mit versteinerten Gesichtern der Verhandlung. Auf Reue oder Bedauern vom mutmaßlichen Täter warteten sie jedoch ebenso vergebens wie auf eine Antwort auf die Frage nach dem Warum.

Alex W. gab sich widerspenstig, fast störrisch. Mit Basecap, Kapuzenpullover, Sturmmaske und Sonnenbrille vermummt wurde er an Händen und Füßen gefesselt in den Saal geführt. Der Aufforderung des Gerichts, die Brille abzusetzen, verweigerte er sich ebenso wie der Forderung nach Auskünften zu seiner Person. Sein Anwalt schloss Angaben zur Sache "zum jetzigen Zeitpunkt" aus. Sechs Stunden lang hielt sich W. die Hände vors Gesicht oder verdeckte die dem Saal zugewandte Seite mit Teilen seiner Kapuze.

Knapp vier Monate zuvor noch war der in Perm geborene Russe mit deutschem Pass in seinem Berufungsverfahren wegen Beleidigung gegenüber der damaligen Zeugin Marwa El-Sherbini sehr deutlich geworden. Der Mann habe sie bei der Verhandlung im Amtsgericht und auch im Landgericht gefragt, was sie denn in Deutschland wollten, erzählte der Witwer. Vor Gericht stand Alex W., weil er die Frau mit Kopftuch im Sommer 2008 auf einem Spielplatz als "Islamistin", "Terroristin" und "Schlampe" beschimpft hatte. Seine Frau habe die Polizei gerufen, den Mann aber nicht selbst angezeigt, betonte Elwy Ali Okaz. Dies hatte die Staatsanwaltschaft bisher behauptet.

Sie hätten keine Angst gehabt, ins Gericht zu gehen. Sonst hätten sie ihren Sohn nicht mitgenommen. "Er war krank und konnte nicht in den Kindergarten, meine Frau wollte später mit ihm zum Arzt", erzählte der Vater. Der Dreijährige, Augenzeuge des Verbechens an seiner Mutter, lebt inzwischen bei Verwandten der Frau in Ägypten. "Er vermisst seine Mutter sehr, er leidet", sagte sein Vater.

Marwa El-Sherbini war ihrem Mann, der am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik seine Doktorarbeit schrieb, 2005 nach Deutschland gefolgt. "Wir wollten in Deutschland oder Europa arbeiten - sie als Apothekerin, ich als Doktor an der Uni." Diese Pläne hat Alex W. zerstört - mit mindestens je 16 Stichen auf El-Sherbini und Okaz.

Er habe die Eheleute mit einer 18 Zentimeter langen Klinge angegriffen, "um sie zu töten", sagte Oberstaatsanwalt Frank Heinrich. Er habe dabei "zumindest teilweise mit großer Wucht" und aus "bloßem Hass auf Nichteuropäer und Moslems" auf das Paar eingestochen. Die Anklage wirft ihm Mord und Mordversuch sowie gefährliche Körperverletzung aus Heimtücke und niederen Beweggründen vor.

"Es war eine Minutensache", sagte der Witwer, nur etwa 30 Meter vom Tatort entfernt. Der Angeklagte habe seine Frau und ihn zunächst geschlagen, später mehrfach zugestochen. "Als er mich angriff, sah ich, dass er etwas Spitzes in der Hand hatte", erzählte Okaz gefasst auf Arabisch. Als er versucht habe, die Klinge zu fassen, sei er angeschossen und kurz danach bewusstlos geworden. Seine Frau starb noch am Tatort.

Ihr Mann, dem ein Beamter im Durcheinander versehentlich in den Oberschenkel schoss, konnte reanimiert werden. Der Witwer will nicht in Dresden bleiben. Er habe nach zwei Operationen und langer Reha nach wie vor Schmerzen, sagte Okaz, der an Krücken ins Gericht gekommen war. Es ist unklar, ob Okaz je wieder richtig laufen kann.

Auf einen Blick

Der Mordfall Marwa El-Sherbini:

21.8.2008: Auf einem Dresdner Spielplatz richtet die Apothekerin Marwa El-Sherbini an Alex W. die Bitte, ihrem Sohn eine der Schaukeln zu überlassen. Der Russlanddeutsche beschimpft die Kopftuchträgerin als "Islamistin", "Terroristin" und "Schlampe". Die Frau ruft die Polizei.

13.11.2008: Das Amtsgericht Dresden verurteilt Alex W. wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 13 Euro (also 780 Euro). Er legt Berufung ein - sein Ziel: ein Freispruch.

1.7.2009: Nachdem Marwa El-Sherbini im Berufungsprozess ausgesagt hat, zückt Alex W. gegen 10.20 Uhr plötzlich ein Messer und sticht mindestens 16 Mal auf die Frau ein. Auch der Ehemann wird verletzt. Zwei hineinstürmende Beamten schießen ihm im Gemenge ins Bein. Marwa El-Sherbini stirbt wenige Minuten später.

2.7.2009: Gegen Alex W. wird Haftbefehl erlassen.

5.7.2009: Die tote Marwa El-Sherbini wird nach Ägypten geflogen.

6.7.2009: Mehr als 1000 Menschen nehmen in Alexandria am Trauerzug teil. Die Beerdigung hat Züge einer Demonstration. 25.8.2009: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung.

26.10.2009: Prozessauftakt gegen Alex W. in Dresden - in unmittelbarer Nähe des Tatortes. dpa

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