Schweinegrippe - von Mensch zu Mensch"Das ist nicht die Apokalypse"

Düsseldorf/Berlin. "Na, seid ihr verseucht?" - lakonisch begrüßt ein Abholer am Düsseldorfer Flughafen seine Verwandtschaft, die am Donnerstag von einem Mexiko-Urlaub zurückkehrt. Die Schweinegrippe ist das große Thema unter den Passagieren des eben gelandeten Airbus A330 aus Cancun

Düsseldorf/Berlin. "Na, seid ihr verseucht?" - lakonisch begrüßt ein Abholer am Düsseldorfer Flughafen seine Verwandtschaft, die am Donnerstag von einem Mexiko-Urlaub zurückkehrt. Die Schweinegrippe ist das große Thema unter den Passagieren des eben gelandeten Airbus A330 aus Cancun. Passagiere, die unter Grippe-Symptomen leiden, müssen im Flieger sitzenbleiben, bis sie eingehend untersucht worden sind. "Es sind bestimmt zehn Passagiere sitzengeblieben - die neben mir leider auch", sagt die 54-jährige Brigitte Balzer mit einem besorgten Lächeln.

Fünf "milde" Fälle

Doch auch nachdem erstmals innerhalb Deutschlands die Schweinegrippe von Mensch zu Mensch weitergegeben wurde, besteht nach Einschätzung der Gesundheitsbehörden kein Grund zur Panik. Einer Krankenschwester, die sich in Niederbayern bei einem in Mexiko infizierten Patienten angesteckt habe, gehe es wieder gut, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts, Jörg Hacker, am Freitag. Die bisher bundesweit nachgewiesenen fünf Fälle, darunter vier in Bayern und einer in Hamburg, verliefen insgesamt milde. Von zwölf Verdachtsfällen in Deutschland seien inzwischen durch virologische Analysen fünf widerlegt worden, sagte Hacker. Im Fall der Krankenschwester aus Niederbayern, die sich mit dem Virus vom Typ A/H1N1 infizierte, hat das Institut RKI zwei Experten nach Bayern entsandt. Sie sollen die örtlichen Behörden bei der Aufklärung des Übertragungsfalls unterstützen und das Virus untersuchen.

Trotz der Gefahr einer Pandemie bestehe weiter kein Grund zur Hysterie, obwohl es vermutlich weitere Fälle geben werde: "Wir müssen mit weiteren Ansteckungen auch innerhalb Deutschlands rechnen", sagte Hacker. Weltweit ist die Zahl der bestätigten Schweinegrippe-Erkrankungen nach Angaben des EU-Zentrums für Seuchenbekämpfung (ECDC) bis Freitag auf mehr als 480 gestiegen. Frankreich meldete gestern zwei erste Erkrankungen. Erstmals wurde es auch in Asien festgestellt. In Hongkong wird ein Mann aus Mexiko an der Schweinegrippe behandelt, der über Schanghai eingereist war. Die Zahl der Todesfälle war weltweit auf 13 geklettert, zwölf davon in Mexiko und einer in den USA. Die US-Gesundheitsbehörden warnten unterdessen davor, Kindern mit Grippesymptomen Aspirin zu geben. Dies könne zu schwerwiegenden Schädigungen führen.

Dass die Krankheit in Mexiko so viel heftiger verlaufe als bisher in Deutschland, sei vermutlich auf die Grippesaison in dem südamerikanischen Land zurückzuführen, sagte Hacker. "In Deutschland ist die Grippeperiode beendet, die Menschen haben eine gewisse Immunität gegen die Viren aufgebaut."

Beim fünften Patienten in Deutschland handelt es sich um einen Mexiko-Reisenden. Er lebt in Oberbayern und ist Mitte 20. Wie zwei weitere Patienten aus Bayern ist er bereits wieder gesund. Ein 37-Jähriger wird dagegen weiter im Uniklinikum Regensburg behandelt. Er zeigt keine Grippesymptome mehr, leidet aber an einer chronischen Grunderkrankung. Die 22-jährige Frau, die im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf behandelt wird, liegt weiter auf der Isolierstation. dpaHerr Professor Palacios, die Aufregung über den neuen Schweinegrippevirus ist in Mexiko und weltweit groß. Dabei schwanken die Berichte zwischen Apokalypse und Übertreibung.

Palacios: Was wir sehen, ist ein momentaner Hype um den A/H1N1-Virus, der nicht gerechtfertigt ist. Es ist kein tödliches Virus. Es gibt außerhalb Mexikos praktisch keine Todesfälle. In Europa und den USA genesen die Erkrankten recht rasch wieder, wenn sie behandelt werden. Und selbst hier in Mexiko liegt die Sterblichkeit bei 6,36 Prozent, und auch nur dann, wenn wir davon ausgehen, dass alle rund 160 Toten an dem Virus erkrankt waren. Das wäre gerade mal das Doppelte der Sterblichkeit bei normalen Grippewellen in Mexiko. Aber bisher sind von den 160 ja gerade mal ein Dutzend Patienten nachweislich am Schweinevirus erkrankt gewesen.

Wieso konnte sich denn das Virus gerade in Mexiko so rasend schnell verbreiten?

Palacios: Das Virus wurde wahrscheinlich aus den USA in der großen Reisewelle der Migranten an den Ostertagen eingeschleppt. Und hier in der kontaminierten Metropole Mexiko-Stadt hat es ideale Bedingungen vorgefunden, um sich rasch auszubreiten. Ein trockenes, heißes Klima in einer ungesunden Umgebung. Denn in Mexiko steckt die Hygiene-Erziehung noch in den Kinderschuhen. Hier wir der Müll in die Gegend geworfen und das Trinkwasser nicht sauber gehalten.

Dann trifft das Virus vor allem arme Länder wie Mexiko?

Palacios: Diese Epidemie ist keine biblische Plage oder wurde von geheimen Kräften ausgelöst. Sie hätte auch Städte treffen können, die ähnliche Umwelt- und sozioökonomische Bedingungen aufweisen wie Mexiko-Stadt: Also Schanghai, Santiago de Chile, Sao Paulo, Hongkong, Nairobi oder Johannesburg. Viele andere Moloche auf der Welt haben das gleiche Risiko.

Warum sterben denn in Mexiko die Menschen, wenn das Virus offensichtlich nicht tödlich ist?

Palacios: Das Gesundheitssystem in Mexiko ist defizitär, vor allem das staatliche. Zudem haben hier viele Menschen aufgrund von Umweltbelastung und schlechterer Ernährung ein schwächeres Immunsystem. Atemwegserkrankungen sind in Mexiko gang und gäbe. Da wurde oft auch einfach die Gefährlichkeit des neuen Virus nicht erkannt und zu spät der Arzt konsultiert.

Wie lange wird das A/H1N1-Virus noch sein Unwesen treiben?

Palacios: Das ist nicht die Apokalypse. Das geht in einer überschaubaren Zeit vorbei. Aber wir müssen in Mexiko unsere Lehren daraus ziehen und eine Verantwortlichkeit gegenüber der Umwelt und unseren Mitmenschen entwickeln, die künftig solchen Epidemien vorbeugt.

Hintergrund

Während sich die Schweinegrippe weiter ausbreitet, laufen die Vorbereitungen zur Produktion eines Pandemie-Impfstoffes. Nach Aussage von Experten wird es mindestens drei Monate, wenn nicht länger, dauern, bis es einen wirksamen Impfstoff gegen das Schweinegrippe-Virus A/H1N1 gibt. Die Hersteller haben noch kein grünes Licht für die Herstellung. Letztlich entscheidet die Weltgesundheitsorganisation (WHO), ob ein Pandemie-Impfstoff notwendig ist. Dass sich Influenzaviren ständig verändern, macht die Impfstoffherstellung besonders schwer. Deswegen muss auch der Impfstoff für die "normale" Grippe jährlich neu zusammengesetzt werden. afp

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