Schwarze Tage für Ausländer in Afghanistan

Dubai/Höxter · Niemand ist sicher vor der Rache der Taliban. Während die Nato-Truppen ihren Abzug vorbereiten, machen die Islamisten Jagd auf ausländische Zivilisten. Gestern wurde die deutsche Foto-Reporterin Anja Niedringhaus erschossen. Sie sollte die Wahl in Afghanistan fotografieren.

Mit ihrer Kamera dokumentierte die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus über 20 Jahre lang die brutale Realität des Krieges: in Bosnien, im Irak und schließlich in Afghanistan. Dort, im Osten des Landes am Hindukusch, wurde die 48-Jährige am Freitag kaltblütig erschossen, als sie Wahlhelfer für eine Reportage begleitete. Die preisgekrönte Fotojournalistin arbeitete für die US-Nachrichtenagentur AP. Sie starb einen Tag vor der Präsidentenwahl in Afghanistan.

Der Wagen der Reporterinnen war Teil eines Wahlkonvois, der in der Unruheprovinz Chost Wahlzettel ausliefern sollte. Sie warteten in einem Distrikt an der pakistanischen Grenze auf die Abfahrt, als ein Polizist mit seinem Kalaschnikow-Sturmgewehr auf das Auto zulief. Ein Begleiter der Frauen, ein freier Mitarbeiter von AP Television, berichtete, der Polizist habe mit den Worten "Allahu Akbar" (Gott ist Groß) das Feuer auf die Frauen auf der Rückbank eröffnet. Der Todesschütze, der eine Polizeieinheit befehligt haben soll, wurde festgenommen und wird nach Angaben des Innenministeriums verhört.

Die aus Höxter stammende Niedringhaus hatte 2001 den Fall der Taliban-Herrschaft dokumentiert - 13 Jahre später sind die Taliban zurück. Die brutalen und wohl kalkulierten Terrorangriffe der radikalen Islamisten in den vergangenen Wochen zeigen, dass nichts vor ihnen sicher ist - weder das extrem geschützte Serena-Hotel in Kabul noch eine unbewaffnete Fotografin wie Niedringhaus und ihre kanadische Kollegin, Kathy Gannon, die schwer verletzt wurde.

Die ver mehrten Anschläge werden von der Nato gern als Zeichen für die angeblich verzweifelte Lage der Aufständischen bezeichnet. Doch viele Afghanen werten sie als Zeichen ihrer wachsenden Stärke. Obwohl die ausländischen Truppen bis Ende des Jahres vom Hindukusch abziehen, was die Taliban immer wollten, tun sie nun alles, um den Rückzug so blutig wie möglich werden zu lassen.

Rache an Kollaborateuren

Die gezielten Angriffe der Taliban gelten vor allem ausländischen Zivilisten und Afghanen, die mit Ausländern zusammengearbeitet haben. Niemand ist sicher vor der Rache an den "Kollaborateuren". In den letzten Wochen sind etwa ein halbes Dutzend Lokaljournalisten in Afghanistan ums Leben gekommen.

Und auch der Mord an dem afghanischen Journalisten Ahmed Sardar, der am 20. März während eines Abendessens im Serena-Hotel zusammen mit seiner Frau und zwei seiner Kinder kaltblütig hingerichtet wurde, war ein klares Signal: Der immer hilfsbereite und offene Sardar arbeitete gern mit ausländischen Reportern zusammen. Seine kleine Firma "Pressistan" war für viele Journalisten auf Kabul-Besuch die erste Anlaufstelle. Gut eine Woche vor seinem grausamen Tod hatte Sardar noch den schwedischen Radioreporter Nils Horner beraten, der einen Tag später, am 11. März, in Kabul auf offener Straße erschossen wurde, als er unterwegs zu einem Termin war.

Dies alles sind keine Zufälle. Die Taliban verfügen über ein sehr gutes Informationsnetz. In einem Land wie Afghanistan, in dem die Familie und Verwandtschaftsbeziehungen alles bedeuten, ist es nicht nur leicht, die Wege von Einzelpersonen zu verfolgen, sondern auch über die Familie Druck auszuüben: Die Drohung, dass die Taliban das Haus der Familie in Brand stecken oder alle ermorden, falls ein afghanischen Journalist, Fahrer, Übersetzer oder Polizist nicht erzählt, wer in welchem Konvoi wann wo vorbeifährt, zwingt viele Afghanen dazu, Auskunft zu geben.

Die Taliban wissen sehr gut, was den Westen besonders hart trifft. Gut 13 Jahre nach ihrem Sturz sind die Taliban gerade dabei, alle Ausländer aus Afghanistan zu vertreiben. Ihr Ziel ist dabei auch, die vom Westen mit Milliardensummen gestützte Regierung zu Fall zu bringen, auch wenn bald ein Nachfolger von Präsident Hamid Karsai am Ruder sein wird.Rund zwölf Millionen Afghanen sind an diesem Samstag dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es wird der erste demokratische Machtwechsel in der Geschichte des Landes. Seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 regiert Hamid Karsai in Kabul. Ein drittes Mal darf der 56-Jährige nach der Verfassung nicht zur Wahl antreten. Nach dem Rückzug von drei Kandidaten bewerben sich noch acht Politiker um das Amt, darunter mehrere Ex-Minister.

Von den landesweit mehr als 7170 Wahlzentren mit über 20 000 Wahllokalen bleiben nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) rund 750 aus Sicherheitsgründen geschlossen. Um Wahlbetrug zu vermeiden, wird ein Finger bei der Stimmabgabe mit nicht abwaschbarer Tinte markiert. Die 352 000 afghanischen Polizisten und Soldaten haben die Verantwortung dafür, die Wahl zu sichern. Die Stimmenauszählung beginnt am Tag nach der Wahl und soll nach IEC-Angaben bis zum 20. April dauern. Am 24. April will die Wahlkommission das vorläufige Ergebnis verkünden. Einwände wegen Betrugs oder Unregelmäßigkeiten prüft die Wahlbeschwerdekommission (EEC). Am 14. Mai will die IEC das amtliche Endergebnis verkünden.

Stimmzettel, Urnen und anderes Wahlmaterial mussten von den 34 Provinzhauptstädten in die 364 umliegenden Distrikte geschafft werden, die sich zum Teil in entlegenen Berggegenden befinden. Laut IEC wurden dafür auch rund 3200 Maultiere und Esel eingesetzt. Die Kosten der Wahl in Höhe von rund rund 95 Millionen Euro trägt die Internationale Gemeinschaft.

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