Schwarz-Gelb will die letzten Knoten lösenHeide Simonis: Im entscheidenden Moment bloß nicht aufs Klo gehen

Berlin. Das Finale begann am Freitag pünktlich um 14 Uhr. Da startete die große Koalitionsrunde von Union und FDP in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung mit ihrem dreitägigen Verhandlungsmarathon, an dessen Ende im günstigsten Fall die dicksten Knoten durchgeschlagen sein werden

Berlin. Das Finale begann am Freitag pünktlich um 14 Uhr. Da startete die große Koalitionsrunde von Union und FDP in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung mit ihrem dreitägigen Verhandlungsmarathon, an dessen Ende im günstigsten Fall die dicksten Knoten durchgeschlagen sein werden. Die Runde werde aber "mit Sicherheit nicht" zu einem Abschluss kommen, meinte Kanzlerin Angela Merkel (Foto: dpa).

Denn über Personen und Posten soll an diesem schwarz-gelben Wochenende noch nicht gesprochen werden. "Es geht nur um Inhalte", versicherte ein Teilnehmer. Für Ressortfragen ist die zweite Hälfte der kommenden Woche vorgesehen, und das wollen die Parteichefs dann unter sich ausmachen. Deutlich mehr Klarheit muss am Ende des Wochenendes aber auf alle Fälle herrschen, damit der Koalitionsvertrag wie beabsichtigt am 26. Oktober unterschrieben und Angela Merkel am 28. Oktober zur Kanzlerin gewählt werden kann. Denn die Parteien müssen das Papier noch absegnen. Die Statuten der Union sehen eine Einladungsfrist zu einem Parteitag von einer Woche vor, die der FDP nur von drei Tagen.

Zunächst gaben gestern die ersten Arbeitsgruppen Berichte über ihre Ergebnisse ab, was heute fortgeführt werden soll. Am Sonntag bitten CDU-Chefin Angela Merkel, FDP-Chef Guido Westerwelle (Foto: dpa) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer dann zu den sogenannten Beichtstuhlgesprächen. Dabei sollen strittige Punkte nur mit den zwei Vorsitzenden jeder Arbeitsgruppe in kleiner Runde besprochen werden. Mit dabei werden aber Protokollanten sein, die die Ergebnisse in Koalitionsvertragsdeutsch übersetzen. Kaum einer glaubt allerdings, dass mit den "Beichten" schon alles Strittige abgeräumt sein wird. Zentrale Konfliktpunkte sind nach wie vor die Gesundheitspolitik sowie die Steuer- und Finanzpolitik. Bei der Frage der Steuererleichterungen kam die Union der FDP gestern übrigens entgegen: 20 Milliarden Euro Gesamtvolumen wurden den Liberalen offeriert, fünf Milliarden mehr als bisher. Die FDP hatte ursprünglich Entlastungen in Höhe von 35 Milliarden Euro gefordert.

Für alle Verhandlungstage gilt: Ende offen - und die Abläufe können durchaus noch einmal verändert werden. Insbesondere für die Parteivorsitzenden werden die Gespräche zur Schwerstarbeit werden: Die zusätzlichen Ausgabenwünsche der zehn Fach-Arbeitsgruppen summieren sich dem Vernehmen nach auf rund 120 Milliarden Euro - ungefähr so viel, wie die Linkspartei in ihrem Programm versprochen hatte. Dem stehen die leeren Kassen und ein Sparbedarf von bis zu 40 Milliarden Euro gegenüber. Zugleich müssen Merkel, Seehofer und Westerwelle angesichts der vielen Versprechen auch jeweils eigene Erfolge vorweisen können und zugleich noch ein überzeugendes Gesamtergebnis präsentieren. Denkbar ist, dass die Partner daher positive Beschlüsse, die sie ohnehin planen, für die Außendarstellung in einem eigenen Programm für Wachstum bündeln. Im Gespräch sind zehn Maßnahmen von Bürokratieabbau bis Korrekturen bei der Unternehmenssteuerreform.

Die entscheidende Rolle wird an diesem Wochenende die Kanzlerin spielen: Bei den vergangenen Runden sei zu beobachten gewesen, berichteten Teilnehmer, dass Merkel bemüht gewesen sei, speziell der FDP das Regieren beizubringen. Nicht alles, was in elf Jahren Opposition von den Liberalen an Konzepten ausgebrütet worden ist, hielt auch der Realitätsprüfung stand. Das eine oder andere "frustrierte Erlebnis" habe es für Westerwelle und Co. gegeben. Auf alle Fälle wird sich die Kanzlerin gut in FDP-Chef Guido Westerwelle hineinversetzt haben können: Vor gerade mal vier Jahren war sie es, die sich die Wirklichkeit erklären lassen musste. Damals noch von den Sozialdemokraten. Kiel. Die Arbeitsgruppen von Union und FDP haben die ersten Nachtsitzungen hinter sich, die große Koalitionsrunde unter Leitung der drei Parteichefs haben sie noch vor sich: Während des Marathonwochenendes sollen Einigungen in schwierigen Fragen erzielt werden. Die einstige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD, Foto: dpa) setzt bei anstrengende Verhandlungen auf langen Atem, viele Tassen Tee und eine gute Blase. "Ich habe viel Tee getrunken, und wenn es drauf ankam, auch mal eine Nacht durchverhandelt", sagte Simonis der Nachrichtenagentur AFP. Die als gewiefte Verhandlerin bekannte Sozialdemokratin hält in langen Sitzungen Härte auch sich selbst gegenüber für entscheidend. Im falschen Moment aufs stille Örtchen zu verschwinden, könne ein verheerender Fehler sein. "Man hat drei Stunden verhandelt und merkt, es bewegt sich was. Dann zu sagen: 'Ich muss mal!' ist ganz falsch", sagte Simonis. Eine Pause gebe der Gegenseite Gelegenheit, sich zu sortieren. Wichtig sei neben guter Vorbereitung auch Einfühlungsvermögen, sagte Simonis, die zunächst als Landesfinanzministerin und dann als Ministerpräsidentin an vielen langen Verhandlungsrunden teilgenommen hat. Man müsse sein Gegenüber genau beobachten, die Körpersprache wahrnehmen und merken, wenn er anfange, sich zu "winden". "Wenn jemand den Fuß um das Stuhlbein gedreht oder mit dem Bleistift auf den Tisch getrommelt hat, wusste ich: Jetzt musst Du aufpassen." Wer sein Ziel erreicht habe, dürfe aber nicht zu laut jubeln, warnte Simonis. "Man muss den anderen dazu bringen, zuzustimmen, ohne das Gesicht zu verlieren." Brachte die gegnerische Seite sie zu sehr in Rage, griff Simonis nach eigener Darstellung zu einem alten Trick: "Schön tief einatmen und bis zehn zählen." Als anstrengend empfand die SPD-Frau Verhandlungen mit einem Partner, den sie persönlich nicht mochte. "Ich habe mir dann innerlich immer wieder gesagt: Heide, den brauchst Du nicht zu heiraten." afp

Hintergrund

Die Bundesregierung hat ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in Deutschland angehoben. Nach der "Schockwelle" zum Ende des vergangenen und zu Beginn dieses Jahres durch die Finanz- und Wirtschaftskrise mehrten sich die Zeichen der Erholung, sagte Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Freitag in Berlin. Vor diesem Hintergrund rechne die Regierung nun mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für 2010 um 1,2 Prozent. Im Frühjahr hatte sie das Plus lediglich auf 0,5 Prozent geschätzt. Im laufenden Jahr werde die Wirtschaftsleistung jedoch um 5,0 Prozent einbrechen, sagte zu Guttenberg weiter. dpa

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