Schwarz-Gelb strahlt über Atombeschluss

Der Atombeschluss fiel am Sonntag spät abends, die Philosophie kam gestern hinterher. Glaubt man den Akteuren, dann vollenden Union und FDP mit der Laufzeitverlängerung und dem ebenfalls beratenen 40-seitigen Energiekonzept nur die rot-grüne Politik der Energiewende

Der Atombeschluss fiel am Sonntag spät abends, die Philosophie kam gestern hinterher. Glaubt man den Akteuren, dann vollenden Union und FDP mit der Laufzeitverlängerung und dem ebenfalls beratenen 40-seitigen Energiekonzept nur die rot-grüne Politik der Energiewende. Ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) oder Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) - sie alle betonten, dass erst jetzt der "Fahrplan in die erneuerbare Energienzukunft" gefunden worden sei, der bisher gefehlt habe. Angela Merkel nannte das Programm gar das "effizienteste und umweltverträglichste Konzept weltweit".Am Vortag hatte es im Kanzleramt lange nicht nach einer solchen Einigkeit ausgesehen. Wie Teilnehmer berichteten, stand Röttgen, der eine möglichst kurze Laufzeitverlängerung wollte, ziemlich allein einer Phalanx gegenüber, die sich für die Atomkraftwerke zusätzliche 20 Jahre und mehr vorstellen konnte. Unionsfraktionschef Volker Kauder führte für diese Gruppe das Wort; der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und sein FDP-Kollege Guido Westerwelle zeigten durch kleinere Beiträge häufiger ihre Zustimmung, Brüderle und FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sowieso. Merkel bemühte sich gelegentlich, Einwänden und Hinweisen Röttgens Raum zu verschaffen, ohne seinen Standpunkt offen zu teilen. Allerdings war die Frage entschieden, als Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vortrugen, dass eine Verlängerung um durchschnittlich ein Drittel der bisher geltenden Gesamtlaufzeit von 32 Jahren je Kraftwerk verfassungsrechtlich noch ohne Zustimmung des Bundesrates möglich sei. Begründung: Ab da beginne eine Grenze, wo Quantität in Qualität umschlage, und die Länder, die die Kraftwerke in "Bundesauftragsverwaltung" kontrollieren, von einer neuen Aufgabe sprechen könnten. Damit war die Größenordnung klar. Später am Abend wurde entschieden, den älteren, vor 1980 gebauten Kraftwerken acht Jahre extra zu genehmigen, den neueren 14 Jahre. Die Jahreszahlen basieren eigentlich auf Strommengen. Werden sie, zum Beispiel wegen vorübergehender Stilllegungen nicht erzeugt, kann es auch länger dauern. Etliche Länder freilich teilen den Rechtsstandpunkt de Maizières nicht und kündigten gestern bereits Verfassungsklagen an.Röttgen verlegte sich im Weiteren auf die Forderung, die Kraftwerke müssten gegen Flugzeugabstürze und Terroranschläge nachgerüstet werden. Diese Bedingung, die für die Atomkonzerne zu teuer geworden wäre, wurde dem Minister jedoch ausgeredet. Immerhin bekam Röttgen zugestanden, von den Betreibern die Einhaltung moderner Sicherheitsstandards zu fordern, was nach Angaben des Ministers rund 500 Millionen Euro pro Kraftwerk kosten kann.Bei Röttgens drittem Thema, der Abschöpfung von Extragewinnen der Konzerne, bekam der Minister endlich Unterstützung. Sowohl die Kanzlerin als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble beharrten für die Zeit bis 2016 auf der Brennelementesteuer. Die von den Energieversorgern vor zwei Wochen gestartete Anzeigenkampagne erwies sich jetzt als Rohrkrepierer. Hoffen können sie allenfalls noch, dass bisher nicht klar ist, ob die 2,3 Milliarden Euro, die sie jährlich abführen sollen, brutto oder netto gerechnet sind, also ob sie diese Zahlung steuerlich geltend machen können. Dass soll bis zur Endbefassung mit dem Energiekonzept am 28. September im Kabinett entschieden werden. Zusätzlich zur Brennelementesteuer müssen die Konzerne anfangs jährlich 200 bis 300 Millionen Euro an einen Fonds abführen. Nach 2016 sollen das neun Euro je erzeugter Megawattstunde sein, insgesamt 15 Milliarden Euro. Mit diesem Geld plus Einnahmen aus dem Emissionshandel soll - das war die wichtigste Botschaft Röttgens gestern - der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert werden. Drei Milliarden jährlich. "Sensationell", jubelte der Umweltminister, als sei er der Sieger des Tages.Auch Merkel war sichtlich froh. "Ich habe immer gesagt, dass die Bundesregierung auch kontroverse Themen löst". Am Sonntag nutzte sie, so Teilnehmer, ihre übliche Verhandlungstaktik. Erst durften in großer Runde alle sagen, was sie wollten, dann rief sie kleine Verhandlungsrunden zu sich ins Zimmer, mal die beiden Fachminister, mal die Parteivorsitzenden, dann ging es zurück in die große Runde, um Zwischenergebnisse zu verkünden. Neu war diesmal nur, dass eine Etage unter dem Bankettsaal, in dem die Verhandlungen stattfanden, geduldig die zehn wichtigsten Fachpolitiker aus den Koalitionsfraktionen warteten und immer wieder unterrichtet wurden. So sollten die Fraktionen frühzeitig eingebunden werden. Neu war auch, dass die Chefs der vier großen Energieversorger am Abend per Telefonschaltkonferenz von der Kanzlerin persönlich als erste erfahren durften, wie es ausgegangen war. Die Bosse hatten keine Einwände. Und gestern stiegen ihre Aktenkurse kräftig.

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