Schwarz-Gelb fürchtet den Euro-Strudel

Das Faxgerät beim Bundesverfassungsgericht ist um diese Uhrzeit sonst eher im Schlafmodus. Ab 21.45 Uhr wählt der Jurist Hans-Peter Schneider am Freitag immer wieder die Karlsruher Nummer, der Bundestag hat gerade den mit 700 Milliarden Euro an Stammkapital ausgestatteten Euro-Rettungsschirm ESM abgesegnet. Doch immer das gleiche Signal: besetzt. Um 22.43 Uhr kommt der befreiende Piepton

 Bote Friedrich Murswiek liefert Peter Gauweilers (CSU) Klage beim Bundesverfassungsgericht ab. Foto: Deck/dpa

Bote Friedrich Murswiek liefert Peter Gauweilers (CSU) Klage beim Bundesverfassungsgericht ab. Foto: Deck/dpa

Das Faxgerät beim Bundesverfassungsgericht ist um diese Uhrzeit sonst eher im Schlafmodus. Ab 21.45 Uhr wählt der Jurist Hans-Peter Schneider am Freitag immer wieder die Karlsruher Nummer, der Bundestag hat gerade den mit 700 Milliarden Euro an Stammkapital ausgestatteten Euro-Rettungsschirm ESM abgesegnet. Doch immer das gleiche Signal: besetzt. Um 22.43 Uhr kommt der befreiende Piepton. 89 Seiten Klageschrift machen sich auf die Reise zum Verfassungsgericht. CSU-Urgestein Peter Gauweiler vertraut da lieber auf die traditionelle Methode. Nach dem Votum des Bundesrats wirft ein Bote die Klage in den Briefkasten des Bundesverfassungsgerichts.Damit ist seit Samstagmorgen ein neues Kapitel für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Euro-Rettungsrennen eröffnet. Kommt das Gericht in den nächsten zwei bis drei Wochen zu dem Ergebnis, dass die Milliarden-Risiken des ESM und die Einschnitte in Haushaltsbelange von Bund, Ländern und Kommunen durch den Fiskalpakt grundsätzlicher Natur sind, ist guter Rat teuer. Dann liegen der ESM und der Fiskalpakt erst einmal für Monate auf Eis.

Doch die Zeit drängt. Spanien und Zypern brauchen Hilfen von wohl über 70 Milliarden - der ESM soll als dauerhafte Schutzmauer helfen, dass der Euro stabilisiert werden kann. Rekordzinsen für südeuropäische Länder machen deren Kreditbeschaffung immer schwieriger, die Wall-Street-Legende George Soros sieht nur noch ein Zeitfenster zur Euro-Rettung bis September.

Vor diesem Hintergrund gab es zwar im Bundestag am Freitag eine historische Debatte mit vielen nachdenklichen Beiträgen, auch Abweichler wie Peter Gauweiler (CSU) und Peter Danckert (SPD) durften reden. Doch der Verlauf des Tages machte deutlich, dass die Beschlüsse zum ESM am Abend paradoxerweise schon überholt waren. "Das war ein einmaliger Vorgang", sagt Jurist Schneider. Die Tinte unter dem Protokoll des EU-Gipfels sei noch nicht trocken gewesen, da habe der Bundestag ein überholtes Gesetz beschlossen. Der ESM sei so schon verfassungswidrig, weil er unbefristet und unkündbar sei, keine demokratische Kontrolle habe und Deutschland unkalkulierbare Haftungsrisiken aufbürde. Doch jetzt sei alles noch schlimmer.

Grund ist der jüngste Gipfelbeschluss, dass sich künftig auch marode Banken aus dem ESM mit frischem Geld versorgen können. Und auf Druck Italiens soll es schwächere Auflagen für Länder geben, die Finanzspritzen brauchen. Dadurch würde der Weg Richtung Schuldenunion stärker geebnet. Viele Bürger vermissen Transparenz bei dem, was die EU-Regierungschefs da auskungeln. "Es wird Zeit, aus dem Elitenprojekt EU wieder ein gemeinsames Projekt zu machen, bei dem wir auch die Bürger mitnehmen müssen", sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er hält Volksentscheide über mehr Europa für sehr sinnvoll.

Auch wenn jetzt viel über ein Einknicken von Merkel debattiert wird, letztlich ging es auch darum, Italiens Premier Mario Monti innenpolitisch zu stützen, denn im Hintergrund lauert schon wieder Silvio Berlusconi. Was europapolitisch wegen des auf Italien und Spanien lastenden Zinsdrucks sinnvoll sein mag, birgt für Merkel innenpolitisch große Risiken. SPD-Chef Gabriel sagt, der Passus zur Bankenhilfe sei das Gegenteil dessen, was verabredet worden sei.

 Bote Friedrich Murswiek liefert Peter Gauweilers (CSU) Klage beim Bundesverfassungsgericht ab. Foto: Deck/dpa

Bote Friedrich Murswiek liefert Peter Gauweilers (CSU) Klage beim Bundesverfassungsgericht ab. Foto: Deck/dpa

Hierüber müsste das Parlament wohl auch mit Zweidrittel-Mehrheit abstimmen, die SPD hat ein Nein angekündigt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder beschwichtigt, Geld gebe es nur unter strengen Auflagen. Nicht wenige bei Union und FDP fürchten aber, dass man am Abgrund steht, das Teufelswort lautet Schulden-Vergemeinschaftung. Merkel bekam bei den drei ESM-Abstimmungen kein einziges Mal die Kanzlermehrheit.

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