Schwabenstreiche im Speckgürtel

Echterdingen. Seit 13 Jahren kämpft Claudia Moosmann gegen Stuttgart 21, der Protest ist zu ihrem Lebensthema geworden. Die Stimme ist voller Zorn, wenn die 54-Jährige über das Bahnprojekt spricht, das Baden-Württemberg derzeit in zwei Lager teilt - womit das Land dem Rest der Republik gehörig auf die Nerven geht

 Eine Stuttgart-21-Gegnerin vor der Halle in Leinfelden-Echterdingen bei der Veranstaltung mit Bahnchef Grube. Foto: Tim Höhn

Eine Stuttgart-21-Gegnerin vor der Halle in Leinfelden-Echterdingen bei der Veranstaltung mit Bahnchef Grube. Foto: Tim Höhn

Echterdingen. Seit 13 Jahren kämpft Claudia Moosmann gegen Stuttgart 21, der Protest ist zu ihrem Lebensthema geworden. Die Stimme ist voller Zorn, wenn die 54-Jährige über das Bahnprojekt spricht, das Baden-Württemberg derzeit in zwei Lager teilt - womit das Land dem Rest der Republik gehörig auf die Nerven geht. Wenn über Stuttgart 21 diskutiert wird, ist von Mineralquellen die Rede, vom Kopfbahnhof, alten Bäumen und Juchtenkäfern, was manchmal fachkundig klingt und oft verbissen. Und immer müssen sich die Gegner mit einem Vorwurf auseinandersetzen: "Warum habt ihr euch nicht früher gewehrt?" Es habe nie jemand zugehört, sagt Claudia Moosmann dann. Die ehemalige Postbeamtin ist Vorsitzende der Bürgerinitiative "Lebenswertes Leinfelden-Echterdingen", und das wiederum ist eine Kleinstadt auf den Fildern, einer Region oberhalb des Stuttgarter Talkessels. Speckgürtel wird die Gegend genannt, die Menschen dort sind wohlhabender als im Rest von Deutschland, konservativ, lange Zeit waren die Filder sicheres CDU-Gebiet. Wer wissen will, warum in Baden-Württemberg jetzt nichts mehr so ist wie vorher, findet dort Antworten. 7133 Unterschriften hat Moosmann gegen Stuttgart 21 gesammelt, im Jahr 1997 und in einer Stadt mit nur 37 000 Einwohnern. "Der Vorwurf, wir hätten zu spät reagiert, ist Propaganda", sagt sie.

Dabei haben die Probleme der Menschen in Leinfelden-Echterdingen nichts mit Käfern und Bäumen zu tun. "Kein IC durch LE" lautet ihr Slogan.

Am Mittwoch warb Rüdiger Grube, der Chef der Deutschen Bahn, in der Stadthalle in Leinfelden-Echterdingen um Zustimmung. Er sprach über ökologischen und ökonomischen Fortschritt, zog Vergleiche mit Saarbrücken, wo die Kaufkraft enorm gestiegen sei, seit die Stadt an das europäische Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz angebunden ist. Während die geladenen Politiker und Unternehmer klatschten, kommentierte das Publikum nahezu jede seiner Äußerungen mit Buhrufen.

Die Stuttgart-21-Planung sieht vor, dass der Flughafen und die Landesmesse an das Bahn-Fernverkehrsnetz angeschlossen werden, und weil diese auf der Gemarkung von Leinfelden-Echterdingen liegen, heißt das: Irgendwann nach 2020 werden IC-Züge mitten durch die Stadt fahren. Auf einer Trasse, die für S-Bahnen zugelassen ist und deren Tunnel für Fernzüge zu schmal sind. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer musste eigens eine an zahlreiche Sicherheitsauflagen geknüpfte Sondergenehmigung ausstellen. "Ein Skandal", sagt Moosmann.

Seit Wochen versammeln sich in Leinfelden-Echterdingen jeden Donnerstag einige hundert Menschen zu "Schwabenstreichen", so heißen die Anti-Stuttgart-21-Demos, noch viel mehr fahren runter nach Stuttgart zu den Großdemonstrationen. "Mit dem Bahnhof habe ich nichts am Hut", sagt eine ältere Dame, die fast immer dabei ist. "Mir geht es um mein Haus." Sie habe Angst, dass ihr Grundstück wertlos werde, sobald Fernzüge daran vorbei donnern. Leinfelden-Echterdingen ist wegen des Flughafens schon heute eine enorm laute Stadt. Wenn der IC kommt, könnte es auch mit der Nachtruhe vorbei sein, fürchten die Anwohner. Eine weitere Sorge: Der Fernverkehr werde den für sie viel wichtigeren Nahverkehr verdrängen.

Die Bahn hat zu all dem lange geschwiegen, obwohl die Flughafen-Anbindung zentraler Teil der Stuttgart-21-Planung ist. "Diese Trasse ist der Knackpunkt des gesamten Projekts", sagt Steffen Siegel, pensionierter Lehrer und heute Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Filder.

Die Initiative hat jahrelang erfolglos gegen den Bau der Messe und erfolgreich gegen den Bau einer zweiten Startbahn am Flughafen mobil gemacht hat, mit Demos, Straßenblockaden und Menschenketten. Natürlich ist Siegel auch gegen Stuttgart 21, und wie viele Menschen auf den Fildern ist er protesterfahren. Dabei sei der Widerstand immer schon sehr bürgerlich gewesen - und gewaltfrei. "Wir haben höchstens mal einen Misthaufen vor dem Flughafen abgeladen, mehr nicht."

Als die Debatte um die zweite Startbahn hochkochte, standen die Kommunen hinter den Demonstranten und selbst in der schwarz-gelben Landesregierung war das Vorhaben umstritten. Stuttgart 21 jedoch wird von offizieller Seite nie in Frage gestellt. Und so entwickelt sich der Protest gegen ein Bahnprojekt immer mehr zu einer Bewegung "gegen die da oben". Viele sind wütend auf die Bürgermeister, die Landes- und die Bundesregierung, die sie selbst gewählt haben. "Es geht nicht mehr nur um Stuttgart 21", sagt Moosmann. "Wir wollen uns hier einfach nicht für dumm verkaufen lassen."

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