Schuld und Schulden

Athen · Athen will offenbar alle Mittel einsetzen, um seinen Verbleib in der Eurozone und die weitere Finanzierung des pleitebedrohten Landes zu sichern. Jetzt kommen erneut Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg ins Spiel.

Um welche Schäden geht es?

Laut einer griechischen Studie betragen die Reparationsforderungen an Deutschland für alle Schäden und Verluste 269 bis 332 Milliarden Euro . In die Summe sind auch Zinseszinsberechnungen eingeflossen. Fakt ist, dass die deutschen Truppen in kaum einem Land so gewütet haben. 180 000 Griechen starben, ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Eine Besonderheit ist ein Kredit der damaligen Athener Marionettenregierung in Höhe von 476 Millionen Reichsmark im Jahr 1942 , den Deutschland nach Recherchen des Historikers Hagen Fleischer offenbar als echten Kredit betrachtete und teilweise sogar tilgte. Der große Rest aber wurde bis heute nicht zurückgezahlt und würde derzeit 3,5 bis zehn Milliarden Euro wert sein.

Welche Reparationen an die einstigen Kriegsgegner hat Deutschland bisher geleistet?

Abgesehen davon, dass Deutschland durch große Landverluste für seinen Aggressionskrieg bezahlte, kam es relativ glimpflich davon. Das Auslandsvermögen wurde nach 1945 beschlagnahmt. Nach dem Pariser Abkommen von 1946 wurden Demontagen an Industrie- und Verkehrsanlagen vorgenommen, am meisten durch Russland. Auch Griechenland erhielt etwa 30 000 Tonnen. Alle weiteren Reparationsforderungen wurden beim Londoner Schuldenabkommen von 1953 auf den Zeitpunkt eines späteren Friedensvertrages vertagt. 1960 einigte sich Deutschland - wie mit anderen Ländern auch - mit Griechenland auf eine "Globalentschädigung" für NS-Unrechtstaten. Griechenland bekam 115 Millionen Mark und verzichtete auf weitere Forderungen für individuelle Entschädigungen. Allerdings verurteilte das griechische Verfassungsgericht Deutschland 1997 trotzdem zur Wiedergutmachung für die Opfer eines Massakers im Ort Distomo in Höhe von 28 Millionen Euro. Dieses Urteil ist jetzt Basis der Drohung, das Gebäude des Goethe-Instituts zu beschlagnahmen.

Wie begründen die Deutschen ihren Standpunkt?

Die Bundesregierung erklärte auch gestern, dass alle Reparationsfragen "final geklärt" seien. Auch die Anleihe zähle dazu. Man sei weder zu Gesprächen noch zu Verhandlungen bereit. Begründet wird der Standpunkt mit dem "Zwei-plus-Vier-Vertrag", der 1990 die Einheit regelte und dem auch Griechenland zustimmte. Er komme einem Friedensvertrag gleich, heißt es. Das Wort Reparationen tauche in ihm nicht auf. Nach Informationen des "Spiegel", weil Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher die kleinen Länder absichtlich aus den Verhandlungen heraushielten. Weiterhin wird in Berlin argumentiert, dass Reparationszahlungen so lange nach Ende eines Krieges historisch und international ein absoluter Sonderfall wären. Zur Beschlagnahme-Drohung wird darauf hingewiesen, dass der Internationale Gerichtshof erst 2012 in einem ähnlichen Fall aus Italien entschieden hat, dass auch für Deutschland die "Staatsimmunität" gilt - ein fremdes Gericht darf das Land nicht einfach verurteilen.

Warum spitzt sich die Debatte gerade jetzt so zu?

Die klamme Finanzlage Athens ist nicht der einzige Grund. Reparationen waren immer ein Thema in Griechenland, Syriza machte damit erfolgreich Wahlkampf. Am Dienstag setzte das Parlament ein schon von der konservativen Samaras-Regierung gebildetes Komitee wieder ein, das die Reparationsforderungen begründen und durchsetzen soll.

Meinung:

Zukunftsfonds statt Reparationen

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Gut 70 Jahre nach Kriegsende erscheinen Forderungen nach Reparationen absurd. Aber Vorsicht. Zeit allein ist kein Gegenargument. Mag Deutschland auch rechtlich die Argumente auf seiner Seite haben, eine moralische Pflicht bleibt. Erstens haben die Deutschen in Griechenland gewütet wie kaum sonst irgendwo. Zweitens ist das Land bei den bisherigen Entschädigungen sehr knapp weggekommen. Und drittens gibt es eine Besonderheit: den damaligen Zwangskredit von fast 500 Millionen Reichsmark. Berlin muss nicht, aber es könnte diese Schulden wie einen ganz normalen Kredit behandeln, der noch zurückgezahlt werden muss. Selbst die Nazis hatten das offenbar vor. Allerdings sollte dieses Geld, mit Zinseszins bis zu zehn Milliarden Euro , nicht im griechischen Schuldenloch versickern. Ein gemeinsam verwalteter deutsch-griechischer Zukunftsfonds wäre die richtige Alternative. Zehn Milliarden für Bildung, Infrastrukturmaßnahmen oder als Starthilfe für Firmen. Das wäre auch 70 Jahre danach noch ein sinnvolles Zeichen tätiger Wiedergutmachung.

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