Schlüssellochblick ins Innere der Macht

Berlin. Karl Schlich, der Presseorganisator des Kanzleramtes, läuft fünf Meter voraus und verteilt Autogrammkarten mit dem Bild Angela Merkels. Der "Tag der offenen Tür" der Bundesregierung ist auch diesmal mit über 150 000 Besuchern ein voller Erfolg. Ein paar organisierte Interessensvertreter haben sich unter die Autogrammjäger gemischt

Berlin. Karl Schlich, der Presseorganisator des Kanzleramtes, läuft fünf Meter voraus und verteilt Autogrammkarten mit dem Bild Angela Merkels. Der "Tag der offenen Tür" der Bundesregierung ist auch diesmal mit über 150 000 Besuchern ein voller Erfolg. Ein paar organisierte Interessensvertreter haben sich unter die Autogrammjäger gemischt. Iranische Oppositionelle überreichen zuerst artig eine Rose und dann einen Brief mit dem Hinweis auf Folter und Mord in den Gefängnissen der Mullahs. Merkel dankt und geht weiter. Ein Spediteur, der sich mit "Ich heiße auch Merkel" vorstellt, klagt über die wirtschaftlichen Bedingungen des Gewerbes, während er sich die Unterschrift holt. "Schreiben Sie mir das auf und schicken Sie es in mein Büro". Das ist die Standardantwort aller Minister an diesem Tag, ein Satz der aufmerksam klingt und gleichzeitig nicht lange aufhält. Bürgernähe im Minutentakt. Aber die meisten Leute wollen sowieso nur ein Foto der Kanzlerin, als Beweis, dass man sie von ganz nah gesehen hat. Promis gucken und ein kleiner Schlüssellochblick ins Innere der Macht, darum geht es bei dieser "Einladung zum Staatsbesuch", wie der Tag offiziell heißt. Alle Ministerien machen mit. Merkel spielt mit, bahnt sich mit ihren Sicherheitsleuten und Mitarbeitern ihren Weg durch die Menge. Am Mikrofon erzählt sie wie eine Touristenführerin vom Alltag in der Regierungszentrale. "Da auf dem Hügel, da fliegen wir immer ab mit dem Hubschrauber". "Von meinem Büro gucke ich rüber zum Reichstag". "Da wo Sie jetzt stehen, ist sonst der rote Teppich". Kritische Fragen: Keine. Den Ministern immerhin darf man direkt Fragen stellen, denn etliche von ihnen kommen in die Bundespressekonferenz, wo nun interessierte Bürger die Plätze der Journalisten einnehmen. Alle bewaffnet mit Stofftüten der Bundesregierung mit dem Aufdruck "Auf den Inhalt kommt es an". Bei Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist der Saal mit über 500 Leuten brechend voll, bei Innenminister Thomas de Maizière nicht minder. Es menschelt mächtig an diesem Sonntag rund um den Reichstag, und die schwarzgelbe Koalition erlebt trotz mieser Umfragewerte einen schönen Start in den Herbst der Entscheidungen. Der allerdings wird wahrscheinlich weniger harmonisch.

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