Schlichterspruch: Stuttgart 21 wird gebaut

Stuttgart. Für wenige Minuten nur konnte man im Mittleren Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses den Eindruck haben, es hätte sich alles gelohnt. Als wären die fast 80 Stunden, die Befürworter und Gegner des Bahnprojektes "Stuttgart 21" in das Debattieren von Gleisvorfeld, Tunnelröhren oder in den Mineralwasserschutz investiert hätten, nicht vergebliche Liebesmühe gewesen

Stuttgart. Für wenige Minuten nur konnte man im Mittleren Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses den Eindruck haben, es hätte sich alles gelohnt. Als wären die fast 80 Stunden, die Befürworter und Gegner des Bahnprojektes "Stuttgart 21" in das Debattieren von Gleisvorfeld, Tunnelröhren oder in den Mineralwasserschutz investiert hätten, nicht vergebliche Liebesmühe gewesen. Ein gigantischer Pulk von Kameraleuten tummelte sich vor dem Schlichter Heiner Geißler, als er die Szenerie betrat. Der große Tag des Schlichterspruchs. Doch er fängt nicht sofort an, sondern macht die Runde, begrüßt, vielleicht letztmalig, die 14 Teilnehmer der Schlichtung, verfolgt von Objektiven und Mikrofongalgen. Es ist wie beim ersten Mal vor gut eineinhalb Monaten, als die Einschaltquote die der Telenovela "Rote Rosen" schlug. Hohe Aufmerksamkeit ist garantiert.

Deshalb legen sich die Protagonisten ins Zeug. Allen voran Heiner Geißler selbst. Er begrüßt Bahn-Chef Rüdiger Grube mit der fast schon als Rüge zu verstehenden Bemerkung, er finde es "gut, dass Sie sich zumindest für das Ergebnis der Schlichtung interessieren". Man habe mit der Schlichtung ja "großes Echo gefunden" lobt er das Verfahren. Volker Kefer, Technik-Vorstand der Bahn, dankt den Kritikern, diesen Prozess in Bewegung gesetzt zu haben. Er versprach für die Bahn, mehr Transparenz vor Baumaßnahmen zu schaffen, aber vor der Planfeststellung, nicht danach.

Stuttgarts OB Wolfgang Schuster hatte vom "Bürgerforum Stuttgart" gesprochen, von neuer Einbindungskultur, von einer "Stiftung Rosenstein", in die die neuen Baugrundstücke eingehen sollen, um ein CO2-freies, nachhaltiges Stadtquartier zu entwickeln. Ministerpräsident Stefan Mappus zeigte Einsicht: "Kein Bahnprojekt darf zur Vertrauensfrage für die Demokratie werden." Die Politik, und damit auch und vor allem seine CDU, habe viel versäumt und die Menschen nicht mitgenommen. Das habe "eine ganze Menge Vertrauen kaputtgemacht". Aus dem Zwist um Stuttgart 21 habe er "viel gelernt", beteuerte der Regierungschef. Gelernt, wie man es nicht machen sollte.

Die Projektgegner blieben ungerührt. Vor dem Hintergrund großer Einschaltquoten zeigten sie letztmalig für ihre Basis Flagge. "Leider ist aufgefallen, dass selbst Sie, Herr Kefer, hinter viele Zusagen aus der Schlichtung zurückgefallen sind", bilanzierte der Stuttgarter Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle. Die Mediation habe sich gelohnt, weil "künftig Bürgerbeteiligung anders organisiert werden" müsse. Dies hatte bereits Schuster gesagt, doch weder Wölfle noch die anderen Vertreter des Aktionsbündnisses gingen auf Angebote der Projektträger ein. Sie blieben bei ihren Ansichten: Alles auf Anfang.

Wölfle und sein Gemeinderatskollege Hannes Rockenbauch verlangten einen Bürgerentscheid, BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender brandmarkte das "unökologische" Projekt, Gangolf Stocker behauptete noch immer, dass der "Berg quillt", Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann will das S-21-Geld in die Rheintalbahn stecken und SPD-Veteran Peter Conradi ist sicher, dass die Mängel von S 21 "auch durch Nachbesserungen nicht zu beheben" seien. War die "Sach- und Faktenschlichtung" also doch nur eine Schlichtung der aufwallenden Emotionen? Nach den Plädoyers zogen sich die Parteien zurück. Allein bei den Befürwortern saß Geißler eineinhalb Stunden, um sie zu Zugeständnissen zu bringen. Gerüchte drangen durch, er verlange geringere Bahnsteigneigungen. Dann wechselte Geißler zu den Gegnern. Ohne zwei zusätzliche Gleise gehe es nicht, drang dort aus der Türe. Wie am ersten Tag, als es noch darum ging, ob man das Angebot der Bahn Baustopp nennen könne, erging sich Geißler in Pendel-Diplomatie. Draußen skandierten S-21-Gegner "Mappus weg" und "Lügenpack".

Dann der Schlichterspruch: Geißler hob hervor, dass der Tiefbahnhof nur dann einen Sinn habe, wenn gleichzeitig die Neubaustrecke zwischen Ulm-Wendlungen verwirklicht wird. Die durch den Gleisabbau freiwerdenden Grundstücke sollen der Grundstücksspekulation entzogen und daher in eine Stiftung überführt werden, in deren Stiftungszweck folgende Ziele festgeschrieben werden: Eine Frischluftschneise für die Stuttgarter Innenstadt müsse erhalten werden. Die übrigen Flächen sollen ökologisch, familien- und kinderfreundlich, mehrgenerationengerecht, barrierefrei und zu erschwinglichen Preisen bebaut werden.

Auf einen Blick

Schlichter Heiner Geißler hat sich für einen Weiterbau von Stuttgart 21 ausgesprochen, fordert aber deutliche Verbesserungen, die wohl weitere Millionen Euro kosten. Die Bahn will die Bauarbeiten umgehend wieder aufnehmen. Sie muss nun in einer Simulation nachweisen, dass ein Durchgangsbahnhof zu den Stoßzeiten um 30 Prozent leistungsfähiger wäre als der bestehende Kopfbahnhof. dpa

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