Schläge unter die Gürtellinie

Berlin · Es ist ein beispielloser Vorgang: Der Kanzlerkandidat der SPD wurde erpresst. Peer Steinbrück vermutet eine Einzelperson aus seinem Wohnumfeld hinter der Tat. Die Attacke zielt auf seine persönliche Integrität.

Es ist keine drei Monate her, dass Peer Steinbrück auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin die Tränen kamen, als seine Frau Gertrud über die Zumutungen des Wahlkampfes sprach. Was dem Kanzlerkandidaten und seiner Familie jetzt in der Endphase des Wahlkampfes widerfährt, übersteigt alles, was er sich vorstellen konnte. SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von einer Schmutzkampagne und vom "absoluten Tiefpunkt in diesem Wahlkampf".

Das Ehepaar Steinbrück ist zum Ziel einer Erpressung geworden. Wegen einer Putzfrau, die die Familie vor 14 Jahren beschäftigt hat. In Schwarzarbeit, wie der anonyme Erpresser unterstellt. Er drohte in einem Brief an Gertrud Steinbrück, dies öffentlich zu machen, falls ihr Mann nicht bis zum 10. September auf seine Kandidatur verzichte. Steinbrück und seine Frau entschieden daraufhin selbst, die Polizei einzuschalten und die Erpressung öffentlich zu machen. Sie wollten nicht abwarten, dass der Erpresser seine Drohung in die Tat umsetzt. Die Steinbrücks wollten das Heft des Handelns in der Hand behalten - und die Geschichte so erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen haben, heißt es aus dem Umfeld des Politikers.

Steinbrück wirkt gefasst, aber mitgenommen, als er am Samstagmittag nach einem Wahlkampftermin auf dem Erfurter Domplatz vor die Journalisten tritt. "Ich mache kein Hehl daraus: Was meine Familie und ich in diesem Wahlkampf erlebt haben, geht weit über die Belastungen und Auseinandersetzungen hinaus, was man üblicherweise wird wohl akzeptieren müssen", sagt er. "Dass dazu ein Erpressungsversuch gehört, ist jenseits meiner Vorstellungskraft gewesen." Der Vorgang ist beispiellos. Noch ist unklar, wer dahinter steckt. Steinbrück vermutet, dass es sich bei dem Täter um eine Einzelperson handelt, die aus seinem Wohnumfeld in Bonn stammt (siehe Interview). Aber auch wenn der Hintergrund ein krimineller ist - die Forderung des Erpressers ist politisch. Sie zielt auf die persönliche Integrität des Kandidaten. In den USA sind solche Angriffe im Wahlkampf an der Tagesordnung. Aber auch im politischen Geschäft in Deutschland sind sie nicht ganz neu. So musste Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) 1993 erleben, wie die Beziehung zu seiner heutigen Ehefrau Irene Epple instrumentalisiert wurde, als er Ministerpräsident in Bayern werden wollte. Obwohl viele von der Beziehung wussten und Waigel schon seit Jahren von seiner Frau getrennt lebte - im Kampf um die Staatskanzlei setzte sich am Ende CSU-Rivale Edmund Stoiber durch.

Nicht viel besser erging es Parteifreund Horst Seehofer, als der sich Anfang 2007 - damals noch Verbraucherschutzminister in Berlin - als Nachfolger des wankenden Ministerpräsidenten Stoiber in Stellung brachte. Just zu diesem Zeitpunkt wurde bekannt, dass Seehofer eine Geliebte in Berlin hatte, die ein Kind von ihm erwartete. CSU-Chef und Ministerpräsident wurde Seehofer erst im Herbst 2008 - nachdem das Tandem Erwin Huber und Günther Beckstein gescheitert war. Eine solche Stoßrichtung, eine vergleichbare politische Dimension ist bei Steinbrück nicht ersichtlich. Der SPD-Kandidat erlebt eine große Welle der Solidarität, seit er die Erpressung öffentlich gemacht hat.

Gertrud Steinbrück hat in der "Bild"-Zeitung ausführlich geschildert, wie die Putzfrau damals in ihren Bonner Haushalt gekommen war, wie sie abrechnete, welche Probleme auftraten. Der Brief des Erpressers war nicht an Peer Steinbrück adressiert, sondern an seine Frau.

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